„Der Radsport ist nicht aufzuhalten”

Die Tücken der Sponsorensuche, die Zukunft des Radsports oder seine Vergangenheit bei T-Mobile: Im Gespräch mit Procycling findet Rolf Aldag, Teammanager von HTC-Highroad, klare Worte.

 

Rolf Aldag stellt die beiden Credit-Lyonnais-Löwen in Positur, die längst in den Besitz seiner kleinen Tochter übergegangen sind. „Der große heißt Lance, der kleine Ulle“ – eine Bemerkung, wie sie typisch für die humorvoll-bissige Art des baumlangen Westfalen ist. Aldag hat alles gesehen im Radsport: 1991 ins Profi-Lager gewechselt, nahm er zehnmal an der Tour de France teil; als tempoharter Edelhelfer hatte er einen großen Anteil an den Tour-Siegen seiner Kapitäne Bjarne Riis und Jan Ullrich. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Aldag spätestens mit dem Dokumentarfilm „Höllentour“ von 2003 ein Begriff, wo er neben Erik Zabel eine der Hauptpersonen war, aus deren Perspektive die Tour de France geschildert wurde. Die Wende in seiner Karriere kam, als Bob Stapleton Ende 2007 das Team T-Mobile übernahm und daraus Columbia-Highroad machte. Aldag wurde Teammanager, und die Equipe entwickelte sich in den folgenden vier Jahren zur erfolgreichsten Mannschaft der Welt. Doch auch so viel Erfolg ist kein Garant für Dauerhaftigkeit. General Manager Bob Stapleton fand keinen neuen Sponsor; das Ende für HTC-Highroad markiert auch das (bisherige) Ende von Aldags Laufbahn im Profi-Radsport. Nun wechselt der Westfale zum Triathlon-Vermarkter WTC (World Triathlon Corporation), dem Inhaber der Marke „Ironman“, der weltweit etliche Triathlon-Events veranstaltet. In seinem letzten großen Interview als HTC-Teamchef blickt Rolf Aldag zurück auf seine Karriere – und gibt einen Ausblick auf Veränderungen, die nötig wären, um Teams wie HTC-Highroad ein langfristiges Überleben zu sichern.
 
Rolf Aldag, was waren die Probleme bei der Sponsorensuche?
Wir müssen da den ganzen Sport betrachten: Auf der einen Seite ist es, glaube ich, für keinen Investor gut, zu sagen: Stecke halt ein paar Millionen Euro in den Radsport. Denn dann sagt der: „Ja gut – wir wissen immer noch nicht, wer die Tour 2010 gewonnen hat, wir wissen immer noch nicht, wer den Giro 2011 gewonnen hat …“ Dafür brauchen wir natürlich Lösungen. Da liegt mit Sicherheit ein Problem.
 
Ist die Dopingproblematik dabei auch international ein Thema?
Wenn man die immer wieder angesprochene Dopingproblematik mit potenziellen Sponsoren anreißt, dann verstehen die schon, was man dagegen unternimmt und dass sich der Sport ändert. Das Problem ist, dass die Verfahren an sich endlos sind. Und es ist auch nicht zu erklären, dass der spanische Verband über Contador entscheidet, denn der hat natürlich überhaupt kein Interesse daran, über Contador zu richten. Dann geht es an die UCI, die sagt „ja“ oder „nein“, und dann geht’s zum CAS. Wir brauchen unabhängige Gremien, die nicht angreifbar sind, die neutral sind und die nicht auch ein großes wirtschaftliches Interesse an Frei- oder Schuldsprüchen haben. Solche Dinge sind ein echtes Problem bei der Sponsorensuche.
 
Wie wirkt sich die Nationalität eines Teams auf die Suche nach Sponsoren aus?
Das eine, das es so schön macht, bei uns zu arbeiten – nämlich: Der Pass spielt keine Rolle, sondern, was du für eine Leistung bringst –, trifft uns auf der anderen Seite auch im negativen Sinne, weil wir keine nationale Identität haben. Das Team Lotto ist belgisch, und [Teamchef] Marc Sergeant geht mit dem Chef von Lotto abends essen und ein Bier trinken, und da macht man halt die Deals. Da geht es natürlich immer um eine persönliche Verbundenheit.
Das absolut Internationale bei uns, dass wir 20 Nationen im Team haben, ist super für einen globalen Sponsor, aber es gibt keinen einzigen globalen Sponsor im Radsport. Bei den neuen Mannschaften, die reingekommen sind, ist immer ein Mäzen dahinter, der ein persönliches Interesse hat, aber kein wirtschaftliches.
 
Wenn dieses persönliche Interesse weg ist, kann es natürlich auch schnell vorbei sein …
Es ist natürlich besser, als gar nichts zu haben. Ich wäre froh gewesen über einen Mäzen – wenn da irgendein Saudi gekommen wäre und gesagt hätte, „ich hab’ genug Geld mit Öl verdient und ich interessiere mich für Sport, und ich will das jetzt machen“, da hätten wir niemals nein gesagt. Aber das Risiko ist natürlich schon groß: Wenn der Andy Schleck zu Flavio Becca [dem Eigentümer des Teams Leopard Trek] sagt, „es ist zwar schön, dass du uns bezahlst, aber ich fahre nicht mit dir trainieren, weil ich mich auf die Tour vorbereite, auch wenn du es noch so willst“, und der sagt dann, „dann bezahle ich halt kein Team mehr“, dann ist das morgen vorbei. Bei uns war es bisher zumindest immer so, dass wir Zahlen vorlegen konnten, dass wir in einem guten Jahr, etwa 2009, sagen konnten: „Für jeden Dollar, den du investierst, bekommst du 20,9 Dollar an Return.“
 
Ist es für mögliche Sponsoren am Ende nur ein Rechenexempel, ob sie in den Radsport einsteigen?
Ich glaube, man kann seinen Partnern nicht mehr verkaufen: „Gebt mir Geld, und wir gewinnen Radrennen.“ Man muss es anders nutzen; man muss viel mehr Incentives drum herum bauen, man muss ein Erlebnis Tour de France kreieren für die Toppartner, und dann gehen die wahrscheinlich alle begeistert nach Hause. Wenn man Teil des Teams ist als Partner, dann ist man auch mit den Fahrern im Trainingslager, und dann kriegt man auch dasselbe Rad, und dann geht man auch mit den Fahrern zusammen essen. Egal, was man in der Formel 1 macht: Michael Schumacher auf den Helm zu klopfen, wenn er aussteigt, ist nicht realistisch – das wird nicht funktionieren.
 
Wäre Bob Stapleton nicht als Mäzen infrage gekommen?
Das müsste man ihn natürlich selber fragen. Er hat unglaublich viel Zeit investiert, und ich glaube, wenn so ein erfolgreicher Geschäftsmann diese Zeit in sein eigenes Vermögen investiert, würde er es wahrscheinlich besser vermehren, als wenn er sich um Rennfahrer, Masseure und Partner kümmert. Dafür bin ich ihm persönlich extrem dankbar.
 
War die Erfolgsgeschichte von Highroad das Resultat einer bestimmten Philosophie?
Du brauchst die richtigen Leute. So bitter, wie sich das anhört: Die Rennfahrer sind da nicht entscheidend. Das werden die nicht gerne hören, aber es ist nun mal einfach so – so lange, wie du sehr, sehr konzentriert am Detail arbeitest, wirst du Erfolg reproduzieren können.
 
Aber Topfahrer braucht es doch trotzdem?
Wir haben niemals jemanden verpflichtet oberhalb dessen, was wir hatten. In keinem Bereich. Wir haben nicht einmal gesagt, okay, wir kaufen jetzt einen teuren Sprinter, weil der vielleicht doch besser ist als der junge Cavendish. Wir haben nicht einmal gesagt, wir kaufen jetzt einen teuren Klassementfahrer. Wir haben gesagt: Okay, wir haben Michael Rogers, wir probieren’s mit dem, wir haben Siwzow, der kriegt seine Chance, wir haben eben Tony Martin und probieren’s mit dem. Und dann haben wir den Peter Velits, der wäre der Nächste an der Reihe gewesen.
 
Bei T-Mobile war es oft genau anders herum …
Das sind ja auch viele persönliche Erfahrungen von mir. Ich weiß halt, wie wir bei T-Mobile Leute moralisch gekillt haben. Du hast trainiert, und du hast gesagt: Okay, ich hab’ die Tour nicht geschafft dieses Jahr, aber ich bin nahe dran; und du trainierst, trainierst, trainierst. Einen Monat später: T-Mobile unterschreibt mit Savoldelli, Botero … Da machst du natürlich gleich ’nen Haken dran und sagst: Was soll ich denn jetzt im Winter auf Gran Canaria trainieren oder auf Mallorca sechs Stunden auf dem Rad sitzen? Das haben wir bei Highroad immer versucht zu verhindern, und ich finde es auch für den Sport schlecht. Einen Paolo Savoldelli, der den Giro gewinnt, als Helfer für Ullrich zu verpflichten, ist total unlogisch – der muss als Sieger des Giro versuchen, die Tour zu gewinnen. Es ist halt der nächste logische Schritt, zu sagen, ich muss mir eine Mannschaft suchen, wo ich die Chance und die Strukturen habe, die Tour anzugreifen – ich muss ja sehen, wie weit ich komme im Leben. Und bei T-Mobile hieß es natürlich: Wie kann Ulle die Tour gewinnen? Also hauen die endlos Geld in Helfer und killen damit viel innerhalb der eigenen Mannschaft – und killen dabei natürlich auch sehr viel von dem Sport, nämlich die Ambitionen für sich selbst, da mal hinzukommen. Und das haben wir immer versucht zu verhindern. Egal wer – ob nun ein Mechaniker kam –, die wachsen halt rein. Im ersten Jahr fahren sie nicht mit zur Tour, auch wenn sie vielleicht Chefmechaniker irgendwo anders waren. Nein, du wächst halt rein, und nächstes Jahr, wenn du gut bist, wenn du dabei bleibst, kriegst du deine Chance und fährst auch mit zur Tour.
 
Gab es, was das Konzept angeht, dennoch eine Kontinuität von T-Mobile zu Highroad?
Von der Philosophie ist von T-Mobile gar nichts übrig geblieben. Aber T-Mobile war trotzdem super, super hilfreich – natürlich auf der einen Seite finanziell; gerade am Anfang ist es natürlich wichtig, finanziell stark zu sein.
In der letzten Zeit war es eher so, dass sich viele aufgrund unseres Rufes auch für weniger Geld entschieden haben, weil sie ihre Karriere im Vordergrund hatten. Du hast halt ehrliche Entscheidungen bei uns gehabt. Da fuhren Jungs, die wussten: „Ich verliere in jedem Jahr 100.000 Euro. Aber ich gehe davon aus, dass ich hier sportlich am besten aufgehoben bin.“ Und solche Leute willst du natürlich lieber haben, als wenn du weißt, ich habe den, weil ich mit Abstand das größte Angebot gemacht habe – aber ich weiß nicht, ob der hier wirklich sein will, ob der ambitioniert ist und ob der jemals herausfinden will, wie weit er kommen kann. Ich glaube, das hat uns extrem unterschieden von T-Mobile. Nur: Das Geld brauchten wir, das hat uns extrem geholfen, dafür sind wir dankbar; und meine persönlichen Erfahrungen habe ich nun mal bei T-Mobile gemacht. Und: Am Anfang war T-Mobile, war Telekom ja nicht anders. Wir haben extreme Schwierigkeiten gehabt, ’93, ’94, ’95 mit diesem Mixed-Team. Dann ’96, mit einem Riis in der Mannschaft, war es so, dass wir extrem zusammengewachsen sind, weil wir eben auch so viele schlechte Zeiten erlebt hatten. Ich habe mich auf jeden Einzelnen zu 100 Prozent verlassen können, ob das ein Heppner war oder ein Udo war oder ein Henn war oder ein Holm war … Das waren Leute, wo du gesagt hast: Wir haben so viel Scheiße durchgemacht, jetzt sind wir zusammen auf einem guten Weg, und jetzt versuchen wir es auch so gut wie möglich durchzuziehen.
Aus der Zeit habe ich, glaube ich, schon viel mitgenommen. Und dann kippte es irgendwann. Mit dem Erfolg, mit dem Geld kippte es – du vernachlässigst die Notwendigkeit der Entwicklung, weil du es mit Geld machen kannst. Das ist natürlich viel einfacher.
 
Mit T-Mobile scheint hierzulande auch das Interesse am Radsport insgesamt gekippt zu sein.
Das Interesse am Radsport steigt und ist nicht aufzuhalten. Wenn wir die Jedermann-Veranstaltungen betrachten, die es überall auf der Welt gibt: Cape Argus hat 40.000 Teilnehmer, die Cyclassics 22.000, Berlin 15.000 – da kann keiner sagen, der Radsport sei tot. Und wenn man sich die Tour anschaut – das ist ja inzwischen ein reines Chaos, wo man sich irgendwann auch über Strukturen Gedanken machen muss. Die Infrastruktur gibt einfach nichts mehr her, weil zu viele Leute auf zu engem Raum unterwegs sind. Letztes Jahr, die Etappe Rotterdam – Brüssel, da konnten die Rennfahrer nicht einmal anhalten, wenn sie mal mussten, nirgendwo auf der ganzen Strecke. Es gab keinen Fleck, wo nicht Menschen standen. Insofern ist es eine völlig falsche Einschätzung zu sagen, der Radsport sei tot.
 
Wie sehen Sie denn das Verhältnis von Breitensport und Berufssport?
Im Großen und Ganzen ist es eine schöne Ergänzung. Wenn wir eine große Veranstaltung sehen wie die Cyclassics – ich finde es genial, dass die Jedermänner da fahren können, wo die Profis fahren, und dass die Profis den Benefit haben, dass die Jedermänner noch an der Strecke sind als fachkundiges Publikum, das die Leistung honoriert und auch mal die Hände aus den Taschen kriegt und klatscht. Das finde ich eher ergänzend, als dass man sich da im Weg steht. Ich glaube auch, in Berlin jetzt ein Profi-Rennen zu machen, war richtig. Ich war ehrlich gesagt nicht davon überzeugt, weil da die Reihenfolge anders war: Hamburg hatte erst ein Rennen, hat dann die Jedermänner dazugenommen – da war die Struktur ums Rennen gegeben. Berlin hat schon eine erfolgreiche Jedermann-Veranstaltung gehabt, und jetzt kann man natürlich argumentieren: Ich zahle hier meine 50 Euro Startgeld, aber warum muss ich damit die Profis finanzieren? Aber das Feedback, das ich gekriegt habe, war: „Cool. Da können wir auch die Topleute sehen.“ Und zu hören, dass sich Berlin für 2016 für den Tour-Start bewerben will – das ist ja auch ein schönes Zeichen.
 
Die Profis dienen ja letztlich auch der Radbranche selbst als Werbeplattform.
Die großen Radhersteller haben keine Chance, aus dem Berufssport wegzubleiben. Als Colnago gesagt hat, „das wird mir alles zu teuer, ich mach’ nicht mehr weiter nach Milram“, hat er 30 Prozent Einbußen gehabt. International. Und da hat er gesagt, „ich such ein Team“, hat aber keines mehr gefunden und dann Europcar gemacht, was jetzt ein super Team ist. Ihm ist halt bewusst geworden: „Ich habe gar keine Alternative.“ Und das heißt auch, dass es eine Verbindung gibt. Es gibt eine Kaufentscheidung des Hobbysportlers, der fragt: „Womit fährt denn nun so ein Supersprinter wie Cavendish oder so ein Zeitfahrer wie Tony Martin?“ In dem Bereich, wo die Hersteller ihr Core business haben, gibt es gar keine andere Chance.
 
Aber kann ein Radhersteller langfristig ein ganzes Team finanzieren? Beispiel Cervélo …
Cervélo war, glaube ich, sehr optimistisch. Bob Stapleton hat sich die Zahlen angeguckt und gesagt: „Das ist unmöglich. Eine Firma mit 60 Millionen Jahresumsatz kann nicht 6 Millionen in ein Radteam stecken. Das kann nicht funktionieren.“ Das basiert alles auf dem Prinzip Hoffnung, zu sagen: „Jetzt explodiert der Markt, ich mach’s mit einem sehr erfolgreichen Start und kriege einen Co-Sponsor. Dann bekomme ich die 6 Millionen wieder raus und habe ein Top-Team für wenig Geld.“ Aber wirtschaftlich hätte das niemals funktionieren können auf dem Niveau, dafür ist Cervélo einfach zu klein. Ein Giant, ein Trek, ein Specialized hat da natürlich ganz andere Zahlen. 

 

Wird die Tendenz dahin gehen, dass die großen Firmen ein Team komplett übernehmen?
Da ist jeder am Limit. Wenn man mit den Radherstellern spricht, hört man, dass es für jeden eine Grenze gibt, und sei er noch so groß, denn: Du hast dann keine Chance mehr, in die Entwicklung zu investieren. Da wird’s nicht reichen. Ich glaube, der Radsport könnte sich komplett selbst finanzieren, aber dann müssten sich die Strukturen ändern. Und dazu ist halt keiner bereit.
 
Wie könnte so etwas aussehen?
Barcelona hat Unicef auf dem Trikot, weil sich der Fußball selber finanziert – über Rechte, über Merchandising und, und, und. Bei uns ist das ja so: 2009 hat die ASO mit der Tour de France 130 Millionen Euro verdient. Als Mannschaft kriegen wir 55.000 Euro Startgeld. Wir fahren mit 34 Leuten durch Frankreich; nach zehn Tagen fangen wir an, unser Sponsoring zu sponsorn. Weil’s halt nicht reicht. Wenn man jetzt sagen würde, ihr macht ja auch eine super Arbeit, ihr steckt euch dafür 30 Millionen Euro als Gewinn in die Tasche, und 100 Millionen teilt ihr durch 20 Mannschaften – dann sähe das schon ganz anders aus; dann wären wir auch nächstes Jahr am Start. Dann bekämen wir das auch hin – mit Specialized, mit Shimano, mit Moa … mit Partnern, die ein direktes Interesse am Radsport haben. Und das ist ja nur die Tour – die Tour Down Under ist noch, die Klassiker sind noch, und da gibt’s noch mal 20.000, 50.000, 100.000. Genau so funktioniert ja auch der Fußball – wenn du Champion’s League, erste Runde, schaffst, kriegst du – ich weiß nicht – 20 Millionen Euro überwiesen.
 
Warum können die Teams nicht einen stärkeren Einfluss geltend machen, so wie im Fußball die Vereine?
Bei uns gibt es eben ein ständiges Kommen und Gehen. Wenn HTC weg ist, fährt halt nächstes Jahr Green Edge. Die besten Rennfahrer werden ja nicht mit HTC verschwinden; die verteilen sich nur auf andere Teams. Wir haben immer die Top-Player in der Tour, wir haben immer gute Mannschaften, und ob es jetzt mal eine Wellenbewegung gibt, wo alle weniger Budget haben und für weniger Geld fahren, ist den Veranstaltern ja völlig egal – die haben die besten Rennfahrer, haben eine spannende Tour und stecken sich das Geld in die Tasche. Und es gibt auch keine echte Möglichkeit für die Teams, sich zu gruppieren und dagegen zu arbeiten, denn die Teams kommen und gehen. Bis du mal eine Struktur hast, sind die Gründungsmitglieder dieser Struktur schon lange wieder Historie.
 
… und die Rennen sind dagegen „ewig“.
Du brauchst die Veranstalter natürlich auch. Du kannst nicht irgendwo ein Stadion hinbauen und sagen, dann spielen wir halt da. Man müsste eine partnerschaftliche Lösung finden, aber da geht es natürlich auch um Macht. Die Macht der Veranstalter, die Macht der UCI – und die Teams ziehen da dummerweise immer den Kürzeren.
 
Wie ist es in dem Zusammenhang mit der Globalisierung des Radsports?
Ich glaube, das steckt noch in den Kinderschuhen und wird nicht wirklich aufzuhalten sein. Aber man darf es natürlich auch nicht übertreiben. Wenn man mal die Tour Down Under betrachtet – die hat jetzt einen echten Stellenwert, und zwar nicht nur in Australien, sondern international. Aber die haben auch seit 1999 kontinuierlich daran gebaut. Schwierig ist es, zu sagen, nur weil ich jetzt den Daumen hebe und mein Rennen zu irgendwas erkläre, hat es jetzt gleich den Wert, den ich erwarte. Radsport lebt halt von der Tradition. Du brauchst Respekt für die Historie, und du musst den Zugang für die Fans lassen – ein Radrennen mit zwei Barrieren dazwischen, und die Leute kommen nur bis auf zwölf Meter an die Strecke heran, das wird halt nicht funktionieren. Man muss die Gegebenheiten respektieren, und dann geht auch mehr, als im Moment gemacht wird mit der Globalisierung. Quebec/Montreal muss super sein – diese Rennen werden wachsen. Die Rennfahrer kommen begeistert nach Hause und sagen, „Toprennen, schönes Hotel, echt klasse“ – die wollen da wieder hin, und so wächst es. Du schickst die zweite Garde hin, die kommt wieder und sagt, „hey, das war echt cool“, und dann dauert’s genau ein Jahr, und die erste Garde sagt, „äh, ich will aber dieses Jahr da hin“, und so entwickeln sich die Dinge dann.
 
Könnte die Globalisierung des Radsports nicht auch in Deutschland stattfinden? Stichwort D-Tour …
Fakt ist, dass ganz viele Leute daran Interesse haben, dass ich schon von ganz vielen Leuten aus dem internationalen Bereich angesprochen worden bin, die gefragt haben: „Was braucht es, um eine Deutschland-Tour zu machen?“ Für mich braucht es einen super erfolgreichen deutschen Rennfahrer bei der Tour de France – über zwei, drei Jahre. Unser Problem ist ja nun mal, Deutschland-Tour hin oder her: Wir haben keine Historie, und das ist auch nicht wirklich unsere Mentalität. Grundsätzlich ist es im Sport doch so: Wir hatten Boris Becker und Steffi Graf, und auch ich hab’ mir irgendwann den Wecker gestellt und gesagt: Ey geil, US Open, Finale – keine Ahnung, wo Flushing Meadow ist, aber ich guck mir das mal an. Morgens um drei. Dann haben Boris und Steffi aufgehört, und mich interessiert Tennis null Komma null. Weil: Wir haben halt kein Wim-bledon als unsere Veranstaltung. Und so ist das auch mit dem Radsport – wir haben ja eigentlich nichts. Wir hatten mal den blonden Engel, Didi, in den 70ern, dann war wieder nichts, und dann kam halt dieser junge Rotschopf, Ulle, und alle sind ausgeflippt und wollten Radsport, nur noch Radsport. Aber sobald der weg ist, ist auch erst mal das Interesse wieder weg. Das ist halt der Unterschied.
 
Und wie ist das in einer typischen Radnation?
Eine Flandern-Rundfahrt hat 102-mal stattgefunden, und die Leute gehen zum Radrennen, weil sie hoffen, dass Tom Boonen an der Mur von Geraardsbergen attackiert und Cancellara abhängt. Und wenn er’s nicht kann, gehen sie halt trotzdem wieder hin, weil sie sagen: „Naja, hat nicht geklappt, aber das ist halt die Flandern-Rundfahrt, und mein Ur-Ur-Urgroßvater ist mit meinem Urgroßvater hingegangen, und der mit meinem Großvater und der mit meinem Vater und mein Vater mit mir. Und ich geh’ mit meinem Sohn hin. Und wenn Tom nicht gewinnt, gewinnt nächstes Jahr Gilbert.“ Das gibt’s bei uns halt nicht. Wer kann da von uns gewinnen? Cancellara oder Tom Boonen? Interessiert mich nicht. Das Event wird als Event nicht wahrgenommen, es gibt nur den Personenkult in Deutschland. Jetzt hat die Formel 1 extrem Schwein, dass nach Schumacher Vettel gekommen ist – sonst würde kein Mensch mehr Formel-1-Rennen gucken.
 
Die Ära Ullrich hat zahllose Aktive hervorgebracht, aber dennoch hat der Radsport bei uns einen schlechten Ruf. Zu Recht?
Einen großen Teil haben wir uns selbst zuzuschreiben, ein großer Teil ist aber auch sehr verallgemeinert und sehr vereinfacht worden. Meine Vorstellung ist dazu die einer Redaktionssitzung bei einer Zeitung, wo es heißt: „Passt auf, Freunde – wir haben eine Sportseite. Da können wir drei Viertel gut schreiben, aber wir müssen auch – weil wir ja Journalisten sind – ein Viertel kritisch berichten. Jetzt kann man sich natürlich überlegen: Wenn wir jetzt jeden Tag ändern – heute ist links oben Fußball super, links unten Formel eins super, rechts Bogenschießen toll, und dann in einer Ecke oben ist jetzt aber Handball scheiße, und dann rotieren wir – morgen ist Handball gut und Fußball ist scheiße, das versteht halt keiner. Lasst uns doch einfach eine Linie finden, zu sagen: Fußball ist immer super, und Radsport ist immer scheiße.“ Weil, das versteht der Leser natürlich. Das liest du, und wenn du in einer Überschrift „Radsport“ siehst, dann erwartest du: Da kommt jetzt Scheiße. Und wenn du in einer Überschrift „Fußball“ siehst, dann erwartest du: Das ist klasse.
 
Wobei man getrost bezweifeln darf, dass dort alles mit rechten Dingen zugeht …
Ich war in diesem Film „Sommermärchen“. Da hab’ ich im Kino gesessen und gedacht: Ich reiß’ mir alle Haare aus. Teil dessen war: Olli Neuville nervös bei der Dopingkontrolle. Haben sie gefilmt. Wenn du dir das anguckst, musst du echt sagen: Wollen die mich jetzt verarschen?! „Ich kann halt nicht, wenn mir einer zuguckt.“ – Na ja, hier, nimm deinen Becher, geh da rein. – Der geht in die Toilette, alleine, ohne Doktor, mit Klamotten, schließt sich ein, kommt raus mit einem vollen Becher. Kontrolle gemacht. Das mach’ mal im Radsport – da lachen sie dich aus.
Das Nächste ist Olli Kahn – der ist angemeiert, weil man ihm sagt, „da fehlen zehn Milliliter“, nimmt den Becher und haut ihn an die Wand. Jeder Radrennfahrer wäre für zwei Jahre gesperrt worden. Jeder Radrennfahrer. [Kahn wurde später für ein Spiel gesperrt und musste rund 12.000 Euro Strafe zahlen.]
Keiner macht sich die Mühe, so etwas mal aufzugreifen. Solche Diskussionen habe ich mit Journalisten immer wieder, und ein wirkliches Argument haben die auch nicht. „Ja, aber“ – da ist kein Aber; wenn ich meinen Becher an die Wand schmeiße, ist es eine verweigerte Probe, und das gilt als positive Probe, und dann bin ich für zwei Jahre gesperrt. Mit welchem Recht hat denn ein Michael Ballack eine andere Privatsphäre als ein Tony Martin? Zu sagen, ADAMS [das Online-Meldesystem der WADA] machen wir nicht – wenn ich frei hab’, hab’ ich frei. Wieso hat denn Tony Martin nicht frei, der auch noch 200 Tage im Jahr nicht zu Hause schläft wie Ballack? Mit welchem Recht kann man denn Sportler unterschiedlich beurteilen?
 
Aber das darf man ja alles nicht sagen, weil es dann wieder heißt, die Radsportler zeigen mit dem Finger auf die anderen …
Also, ich glaube, ich darf das sagen. Ich reiß’ auch die Arme hoch und sage: Ich habe Fehler gemacht – ich habe extreme Fehler gemacht. Ich kann es halt nicht mehr ändern. Ich bereue sie; ich hatte damals meine Gründe, mich so zu entscheiden.
 
Anderes Thema: Was sind Ihre eigenen Perspektiven am Ende der Saison?
Mein Frau sagt, „du spinnst ja total“, aber ich hab ehrlich gesagt keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Weil es erst mal wichtiger ist, dass ein Guido Scheeren einen Job kriegt, dass ein Thomas Halbhuber, der jetzt Zwillinge gekriegt hat und bei uns Camperfahrer ist, einen Job kriegt. Dass der Kapitän als Erster ins Rettungsboot springt und sagt, ich bin dann mal weg, viel Spaß beim Untergehen, das finde ich nicht so toll.
 
Kann es in einem anderen Team für Sie dieselbe Position geben, die Sie bei Highroad hatten?
Es gibt ja Mannschaften, die haben ein riesiges Potenzial – aber die machen alles falsch. Wenn ich jetzt die Chance bekäme, da was zu machen – das wäre schon was wert. Meistens ist es aber in meiner Position so, dass der, der mich einstellt, sich selbst feuern müsste. Außer natürlich bei diesem Mäzenatentum, wo einer sagt: „Ich geb’ die Kohle, und du entscheidest, ich bin nur finanziell zuständig.“ Meine Position unter Stapleton ist ja: Alle täglichen Geschäfte, alles Sportliche ist meine Verantwortung. Ich bin de facto ja auch bei der UCI eingetragen als Teammanager, nicht als Sportlicher Leiter. Und fast jeder Teammanager sonst ist ja auch Teameigentümer. Und wenn die jetzt sagen, „ist ja klasse, was du da machst; machst du bei uns Teammanager?“, musst du halt sagen: Und was machst du dann? Die, die mich eigentlich brauchen könnten – da bin ich a) nicht so sicher, ob ich Sachen umgesetzt kriege, weil du einfach vor ’ne Wand läufst und immer wieder abprallst, statt die Wand mal einzurennen, und b): Die Teams, die ohnehin schon gut arbeiten, die sehen auch nicht unbedingt die Notwendigkeit.
Jetzt könnte ich natürlich irgendwo Consultant werden. Aber ist es das, wenn du eine Mannschaft geführt hast und immer versucht hast, nach diesem Schema Leute in verantwortungsvolle Rollen zu packen? Dann fährst du dreimal im Jahr nach Paris auf ein Meeting, kommst mal zum Rennen und sagst, ich weiß nicht, ob wir das nicht anders machen sollten – und endest in der Lustlosigkeit und in der Frustration … Zu sagen, ich hab’s euch achtmal gesagt, beim neunten Mal hab ich die Schnauze voll – soll’n sie halt weiter zu fettes Müsli kaufen oder Schokolade fressen, ist mir auch egal …
 



Cover Procycling Ausgabe 93

Den vollständingen Artikel finden Sie in Procycling Ausgabe 93.

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