Orange ist das neue Schwarz-Rot

Das BMC-Team suchte händeringend einen Sponsor und wurde vom Geldgeber der polnischen ProConti-Formation CCC gerettet. Procycling untersucht, wie sich die Identität und die Ziele des Teams 2019 ändern werden.

 

Als die 1. Etappe der Tour de Pologne im vergangenen August mit einem Rundkurs durch die Peripherie von Krakau und einem vorhersehbaren Massensprint endete, gab es an jenem Tag wenigstens eine Überraschung. Auf solchen Etappen werden in den Mannschaftswagen oft Gäste und VIPs mitgenommen, die dem Rennen eine Runde lang folgen, bevor sie abgesetzt werden, um sich das Finale anzuschauen. An einem Punkt ließ der Teamwagen von CCC-Sprandi-Polkowice seine Passagiere aussteigen. Und statt der üblichen Vertreter der örtlichen Geschäftswelt war es Jim Ochowicz, der Chef des BMC-Teams, der dem Auto entstieg – mit einem großen Lächeln auf den Lippen. Ochowicz war ebenso überrascht, uns zu sehen, wie wir, ihn zu sehen, und wir tauschten nicht mehr als einen kurzen Gruß aus, bevor er im Gedränge polnischer Fans verschwand. Aber angesichts der bevorstehenden Übernahme durch CCC als neuer Hauptsponsor von BMC ist nicht schwer zu erraten, worüber Ochowicz mit dem CCC-Management geplaudert hatte. Der Mann am Lenkrad des CCC-Mannschaftswagens an diesem Tag war Piotr Wadecki, CCC-Frontmann bei den Verhandlungen, die dem BMC-CCC-Deal in diesem Sommer vorausgegangen waren, und jetzt Leiter der logistischen Operation des Zusammenschlusses der ProContinental- und WorldTour-Teams auf polnischer Seite. Für BMC liegen die Vorzüge der Rettung in letzter Minute durch einen polnischen Schuh- und Handtaschenhersteller mit dreistelligem Millionenumsatz auf der Hand. Im Frühsommer hatte Ochowicz immer noch keinen Sponsor für 2019 aufgetrieben, und Stars wie Richie Porte, Rohan Dennis und Tejay van Garderen wurden mit anderen Rennställen in Verbindung gebracht.

In Pressemitteilungen von CCC wird versichert, dass es keine Fusion sei, sondern CCC als Hauptsponsor übernehme. Und das sei die Bestätigung dafür, dass der polnische Radsport kollektiv auf höchstem Niveau angekommen sei. Die Fahrer des Landes waren in den 1970ern stark, als sie als Amateure bei der Friedensfahrt und Olympia antraten, doch dies stelle einen Durchbruch auf Profiebene dar. Es werde auch, hieß es weiter, ein Nachwuchsteam mit Continental-Lizenz und ein Frauenteam eingerichtet. Individuell bestätigt es auch, dass Fahrer wie Michał Kwiatkowski und Rafał Majka das Profil des Radsports in Polen geschärft haben. „Ich kenne Dariusz Miłek, den Firmenchef von CCC, persönlich; er ist ein großer Radsportfan“, sagt Kwiatkowski. „Es ist ein großer Schritt nach vorn, sie wollten seit Langem hoch hinaus, und jetzt haben sie es geschafft. Hoffen wir, dass alles gut läuft und sie dieses Projekt viele Jahre haben.“ Außer Kwiatkowski und Majka sind die internationalen Referenzpunkte des polnischen Radsports die Tour de Pologne, seit 2005 ein WorldTour-Rennen, und flüchtige Momente des Glanzes mit früheren Stars wie Zenon Jaskuła, Dritter der Tour de France 1993.

In die WorldTour
Das CCC-Radsportteam wurde 2000 unter dem Namen Mat-Ceresit-CCC gegründet und ist seit 2001 mit knallorangefarbenem Trikot unterwegs. In den letzten Jahren nahm das Team regelmäßig an ProContinental-Rennen teil. CCC fuhr 2003 vorübergehend in der ersten Liga (als die UCI diese auf 30 Teams ausweitete), rutschte aber 2004 in die dritte Division ab – die heutige Continental-Liga. CCC versucht seit Langem, ein internationales Programm anzustreben und gleichzeitig zu Hause ein großer Fisch in einem kleinen Teich zu sein, wobei die Betonung wahrscheinlich auf Letzterem liegt. Bei ihren drei Teilnahmen am Giro waren zwölfte Plätze mit Dariusz Baranowski 2003 und Jan Hirt 2017 der größte Erfolg. Für ihren einzigen WorldTour-Erfolg sorgte Maciej Paterski, als er auf der Eröffnungsetappe der Volta a Catalunya 2015 als Solist zum Sieg fuhr und zwei Tage das Leadertrikot trug. Außerdem gab die Tendenz von CCC, Fahrer wie Davide Rebellin und Stefan Schumacher zu verpflichten, dem polnischen Team den Ruf, ein Auffangbecken für überführte Dopingsünder zu sein.

Der Journalist Kamil Wolnicki von der Tageszeitung Przeglad Sportowy, die als erste über das Interesse des Teams an Geraint Thomas berichtete, sagte: „In den letzten Jahren war die Rede davon, dass CCC in die WorldTour aufsteigen will. Aber erst jetzt, als CCC sah, dass BMC unterzugehen drohte, ist es passiert. Es war Zufall. Für den polnischen Radsport ist es sehr wichtig. Im Moment ist sehr wenig Geld im Sport, nur eine Handvoll kleiner Continental-Teams.“ Statt prominente Fahrer zu verpflichten, hat CCC Wolnicki zufolge in den letzten Jahren in ein Materiallager in Westpolen und Equipment wie einen Teambus investiert, eine Politik, die ihnen in der ersten Liga zugutekommen wird. (Das Materiallager von BMC in Belgien – hinter einem Fahrradgeschäft von Rik Verbrugghe in der kleinen flämischen Stadt Eke – wird weiter genutzt.) „Es ist auch wichtig, weil junge polnische Fahrer bisher kein nationales Team auf diesem Niveau hatten, zu dem sie gehen konnten. Du musstest sehr, sehr gut sein, um ein Team zu finden“, sagt Wolnicki weiter. Kwiatkowski sieht das genauso. „Viele Fahrer gehen in der U23-Kategorie unter, und wenn es ein polnisches Team gibt, wird man eher auf sie aufmerksam“, sagt er. „Die Scouts der Profiteams kommen nicht so oft nach Polen.“ Er hätte es gerne gesehen, sagt er, wenn es ein solches Team gegeben hätte, als er sich in Spanien bei Caja Rural durch die ProContinental-Reihen kämpfen musste.

Majka und Kwiatkowski mögen dem Radsport in Polen zu einem ganz neuen Interesse verholfen haben, aber Wolnicki glaubt nicht, dass die Situation in Polen vergleichbar ist mit der in Großbritannien, als Mark Cavendishs Erfolg der Gründung eines ersten WorldTour-Teams mit Sky vorausging. In Polen, sagt er, sei die Situation des Radsports viel prekärer. „In Großbritannien hat der Verband eine Reihe von Programmen aufgelegt, um junge Profis zu fördern“, sagt er. „Hier ist der Verband fast pleite und in großen Schwierigkeiten, und das bisschen Training und Unterstützung für die Fahrer kommt weitgehend vom Olympischen Komitee.“ Tatsächlich trat der frühere Verbandspräsident Dariusz Banaszek im Januar nach einem Korruptionsskandal zurück, in den Funktionäre seiner Organisation verwickelt waren, obwohl er seine Unschuld beteuerte. Der Verband hatte Mitte September Berichten zufolge immer noch kein Geld, um eine Mannschaft zur Weltmeisterschaft zu schicken. Kann CCC die Löcher stopfen? Eines ist sicher: Es wird nicht schnell gehen. Laut Piotr Wadecki, der die Verhandlungen über die praktischen Fragen geführt hat, will sich CCC 2019 erst einmal etablieren, bevor man sich höhere Ziele setzt. „Das Ziel ist nicht nur, das führende polnische Team zu sein“, sagt er. „Wir wollen auch die besten polnischen Fahrer haben. Wir waren schon dreimal beim Giro, 2003, 2015 und 2017, aber unsere großen Träume sind auch Flandern und Roubaix. Und das ist ein langfristiges Programm, nicht nur für drei Jahre. Wir wollten vorher schon in die WorldTour und wir waren ja schon einmal in der ersten Division, aber als das Angebot von Jim kam, haben wir uns schnell entschieden, innerhalb von fünf oder sechs Tagen.“

Außer Greg Van Avermaet, räumt Wadecki ein, fehlen dem Team nach dem Exodus der Rundfahrer die großen Namen. „Das Problem war, dass die Sache erst im Juli klar war. Im März wäre es eine andere Geschichte gewesen. Aber wir haben Greg, er ist immer noch der aktuelle Olympiasieger und es ist alles klar für die Klassiker, und wir werden sicher bald einen guten Namen für die Tour bekommen, denn uns fehlt nur noch der Kapitän. Mit BMC haben wir die Infrastruktur für die großen Rundfahrten – Mechaniker, Sportliche Leiter und so weiter, von denen einige seit 15 oder 20 Jahren bei der Tour sind.“ Er sagt weiter: „Das Gute ist, dass wir, weil alles so spät passiert, nicht den Druck haben wie in anderen Jahren. Wir können nicht so sein wie BMC im letzten Jahr; es ist zu spät. Aber wenn das Team einen neuen Namen hat und in Betrieb ist, sollten wir weitere Türen öffnen können. Kwiatkowski und Majka wären unsere absoluten Wunschkandidaten. Von der derzeitigen CCC-Truppe werden wir die Fahrer übernehmen, die von Januar bis Dezember einen WorldTour-Kalender fahren können, was vielleicht sechs oder sieben Mann sind.“ Das WorldTour-Team wird ein internationales Aufgebot haben, während das U23-Team vor allem mittel- und osteuropäisch sein wird. Auch das Frauenteam hat große Ambitionen: Die Kapitänin ist keine Geringere als Marianne Vos.

 

Für die Zukunft planen
Der Balanceakt geht also weiter. Das Team wird auf internationaler Ebene antreten, während es seinen polnischen Charakter behält. „Ich sehe den polnischen Radsport wie die polnische Wirtschaft im Allgemeinen“, sagt Wadecki. „Die Unternehmen wachsen hier schnell und wir werden wirklich besser. In den 1990ern und davor gab es einige große Rennfahrer wie Zbigniew Spruch, Jaskuła, Czesław Lang … Aber das war in einem langen Zeitraum von zwei Jahrzehnten. Jetzt gibt es eine neue Generation von Fahrern – Lukasz Wisniowski, Maciej Bodnar, Michał Gołas –, und wir hätten sie gerne in einem polnischen Team.“ „Radsport ist in Polen jetzt eine große Sache“, sagt Simon Geschke, einer der Neuzugänge für 2019. „Aber in meiner Zeit als Amateur, als ich hier Rennen gefahren bin, hat sich hier kaum jemand hervorgetan. Offensichtlich ist, dass Polen sich zu einem interessanten Markt für den Radsport entwickelt. Viele reiche Unternehmen werden ein Team sponsern wollen.“ Schon Anfang September sah es nach einem gut organisierten Team aus, sagt der Berliner, als CCC seine Fahrer informell wegen der Planung fürs nächste Jahr kontaktierte. Diese Fähigkeit, mit der Planung zu beginnen, war einer der Faktoren, die ihn angelockt haben, sagt er. „Die Tatsache, dass sie alle Teil der WorldTour sind, war sehr beruhigend, und wenn man sich BMC anschaut, ist es ein superprofessionelles Team. Hier arbeiten viele sehr talentierte Leute.“ Geschke war so überzeugt, dass er sich für CCC entschied, obwohl er am zweiten Ruhetag der Tour zwei weitere Angebote auf dem Tisch hatte.

Kwiatkowski glaubt, dass die Entscheidung, mit BMC zu arbeiten, statt ganz von vorne anzufangen und zu versuchen, ein neues Team zu gründen, klug war. Und nicht nur auf praktischer Ebene. „Wenn du bei null anfängst, kostet es dich viel mehr Geld, die Fahrer unter Vertrag zu nehmen. Sie würden mehr Geld verlangen, wenn es nicht existiert, als wenn die Struktur bereits besteht“, sagt er. Bei Redaktionsschluss gehörten Patrick Bevin, Alessandro De Marchi und Michael Schär zu den BMC-Fahrern, die übernommen worden waren, während Guillaume Van Keirsbulck und Serge Pauwels bei anderen Teams unterkamen. „So sind die Umstände“, sagte Van Avermaet unlängst in einem Interview mit Cyclingnews. „Ein Sponsor kam sehr spät, was nicht gut war, um ein WorldTour-Team aufzubauen, aber ich glaube, das Klassiker-Team ist wirklich stark.“ Kwiatkowski selbst will sich nicht festlegen, ob ein Wechsel zu CCC in Zukunft für ihn infrage kommt. „Ich träume nicht von einem Team, ich träume davon, große Rennen zu gewinnen“, sagt er. „Wenn es am besten wäre, bei einem anderen Team zu unterschreiben, um die Tour oder Olympia oder die Weltmeisterschaft zu gewinnen, gehe ich dorthin. Es ist egal, ob dieses Team polnisch, britisch oder russisch ist. Du musst dir überlegen, was die Leute für dich tun und ob du dort sein möchtest, welche anderen Chancen du hast, welchen Druck du hast und so weiter.“ Er fährt fort: „Für dein Image ist es natürlich am besten, wenn du in heimischen Farben fährst. Das hätte die größte Wirkung, aber in sportlicher Hinsicht? Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, wie das Team arbeiten wird, weil es noch nicht ganz existiert.“

Der Aufstieg des CCC-Teams in die WorldTour hat jedenfalls ein paar potenzielle Nachteile. Latente Verwerfungslinien in der Radsport-Infrastruktur des Landes wie der bedenkliche Zustand des Verbands könnten nebensächlich werden angesichts der beeindruckenden Resultate, die CCC einzufahren hofft. Aber es bleibt unklar, was mit den BMC- und CCC-Fahrern und -Mitarbeitern passiert, die nicht in das neue Projekt passen und keinen anderen Arbeitgeber gefunden haben. Unbestätigten Schätzungen zufolge geht rund die Hälfte der CCC-Mitarbeiter zum neuen Team und einige wechseln zum Nachwuchsteam. „Aber wenn sie ins Nachwuchsteam gehen, dann sicher für weniger Geld als im Moment bei CCC“, glaubt Wolnicki. Die CCC-Fahrer, die nicht ins U23-Team oder zu BMC gehen, stehen vielleicht auch ohne Vertrag da. „Ja, einige Jungs werden sich ärgern“, fährt Wolnicki fort. „Aber meiner Meinung nach ist das eine normale Situation. Das Team ändert das Niveau und einige Leute werden nicht reinpassen.“ Insgesamt scheint das CCC-Projekt gut für den polnischen Radsport zu sein, und es widersetzt sich dem Trend in einigen Ländern, wo sich die Sponsoren aus dem Sport zurückziehen. Das Team wird weder die Tour noch den Giro gewinnen, aber mit Van Avermaet hat es einen starken Kandidaten für die meisten großen Eintagesrennen, einen früheren Paris–Roubaix-Sieger und zweifachen Träger des Gelben Trikots der Tour. Resultate sollten das Interesse der Medien und des Publikums wecken und dadurch – so weit die Theorie – zu mehr Partizipation und größerer Stärke in der Tiefe führen, genau wie mit Cavendish und der Gründung von Sky in Großbritannien. Was den Radsport selbst angeht, so sollte CCC, wenn 2019 beginnt, sofort voll einsatzfähig sein – zumindest bei den Klassikern. Kein Wunder, dass Ochowicz lächelte, als er bei der Tour de Pologne vor unseren Augen aus dem CCC-Mannschaftswagen stieg.



Cover Procycling Ausgabe 178

Den vollständingen Artikel finden Sie in Procycling Ausgabe 178.

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