Die Favoriten

Für viele Rad-Fans lief in der bisherigen Saison 2014 alles auf diesen Moment hinaus. Kurz vor der Tour de France beantwortet Procycling jene Fragen, die sich Podiumsanwärter wie Etappenjäger selbst stellen dürften.

 

Chris Froome
Hat Froome Schwächen, die seine Rivalen ausnutzen können?
 
Alex Dowsett, Movistar
Er hat keine offensichtlichen Schwächen. Ich weiß von meiner Zeit bei Sky, dass Tim Kerrison schnell erkannte, dass Chris ein außergewöhnlicher Athlet ist. Schon damals, als er für Kenia antrat, hätte er aus eigener Kraft große U23-Rennen gewinnen können, wäre er nicht dauernd gestürzt. Er hat eben erst vor Kurzem gelernt, wie man Rad fährt. Bei Sky erfüllt er alle Kriterien. Ich weiß, was die Jungs so machen … Sie leben praktisch auf dem Teide und ein paar Monate vor der Tour sind Mehl und Zucker für sie gestrichen. Das gehört alles zu diesen ganzen „marginalen Gewinnen“. Sie erfüllen mehr Kriterien als alle anderen und deswegen schneiden sie so gut ab. Sie sind professioneller als jedes andere Team.
 
Merrijn Zeeman, Sportlicher Leiter bei Belkin
Nach dem letzten Jahr zu urteilen, ist Froome unter den Klassementfahrern der Stärkste in den Bergen und gegen die Uhr. Wenn er erneut in dieser Form ist, wird er extrem schwer zu schlagen sein. Allerdings stellen die Teams ihre Fahrweise heute auf die von Sky ein und man darf gespannt sein, wie sich das auswirkt. Es gefällt uns, wie die ASO ihre Rennen jetzt gestaltet. Sie geben Teams wie unserem, die attackieren oder überraschend zuschlagen wollen, mehr Möglichkeiten. Die Etappen sind eher kürzer, sodass sie explosiver und schwerer zu kontrollieren sind, selbst für ein starkes Team wie Sky. Es gibt einige nicht ungefährliche Etappen in der ersten Woche, vor allem die in den Vogesen, die uns gefallen. Die Etappe nach La Planche des Belles Filles ist vielleicht die schwerste im Rennen.
 
Alberto Contador, Tinkoff-Saxo
Froome ist im Moment sicher der Fahrer, der für alle anderen der Maßstab ist. Als Toursieger stehst du jedoch auf einer anderen Ebene, sowohl auf als auch abseits der Straße. Der größte Unterschied für Froome dieses Jahr ist, dass er unter viel größerem medialen Druck stehen wird. Sobald du die Tour gewinnst, wollen alle mit dir reden, und es ist kaum zu vermeiden, dass diese Inanspruchnahme dich beeinträchtigt. Das geht nicht spurlos an dir vorbei. Mein Ziel ist, dafür zu sorgen, dass er unter größtmöglichem Druck steht, wenn die Tour beginnt. Ich bin sehr zufrieden, wie meine Saison bisher gelaufen ist und wie mein Team gefahren ist, deswegen bin ich viel zuversichtlicher, was meine Aussichten angeht, als letztes Jahr. Wenn ich 100-prozentig in Form in die Tour gehe, werde ich bereit sein, jede Schwäche auszunutzen, die Froome zeigt.
 
Russell Downing, NFTO Pro Cycling 
Ich sehe keine offensichtlichen Schwächen. Er wird immer stärker und nichts kann ihn aus der Fassung bringen. Chris kommt aus Afrika und hat sich an die Spitze gekämpft. Es macht ihn sehr stolz, dass er so weit gekommen ist. Jetzt zieht er sein Ding durch. Ich weiß, dass die Leute die Etappe im Wind letztes Jahr erwähnt haben, als er es nicht in die erste Windstaffel geschafft hat, aber als das passierte, war der Platz auf der Straße begrenzt und er hat den Zug nur knapp verpasst. Es war einer dieser Momente, wo du dich blitzschnell entscheiden musst. Doch das wird ihm eine Lehre gewesen sein, ebenso wie der Rest der Tour, und jetzt müssen sich seine Rivalen erst recht überlegen, wie sie ihn schlagen wollen. Seine größte Gefahr ist Pech, aber ich hoffe, dass das kein Faktor sein wird.
 
 
Alberto Contador
„Wir werden Froome das Leben schwer machen.“
 
Chris Froome war dir bei der letztjährigen Tour durchweg überlegen. Glaubst du, dass du das ändern kannst, und wie gehst du an die Sache heran?
Letztes Jahr hatte ich einige Probleme mit meinem Programm und meiner Vorbereitung, daher habe ich nicht das Niveau erreicht, auf das ich eigentlich kommen wollte. Aus dem einen oder anderen Grund war ich nicht in meiner besten Form. In dieses Jahr bin ich mit einer viel besseren Vorbereitung im Winter gestartet, und ich hoffe, dass mein Niveau ein ganzes Stückchen höher sein wird als 2013.
 
Was genau hast du im Winter anders gemacht?
Ich habe mit mehr Ruhe trainiert und hatte mehr Zeit, eine solide Grundlage für den Rest der Saison zu legen. In dieser Trainingsperiode habe ich nach und nach an Gewicht verloren. Dabei bin ich auch ziemlich lange Pässe gefahren – also nicht die Art von Anstiegen, die wir zu Beginn der Saison hatten, wo die Tendenz zu kürzeren und explosiveren Hügeln geht. Diese Veränderung soll mir langfristig helfen, vor allem bei der Tour und der Vuelta a España. Ich bin mir sicher, dass sich die ganze harte Arbeit auszahlen wird. Es wird ein großer Unterschied zum letzten Jahr sein.
 
Ist Chris Froome der härteste Rivale, mit dem du es je zu tun hattest?
Es steht außer Frage, dass Froome ein sehr starker Fahrer ist und in den letzten zwei Jahren sehr solide war. Er ist ein sehr schwerer Gegner. Aber Rivalen hast du zu jedem Zeitpunkt deiner Karriere. Einmal war es für mich Andy Schleck, jetzt ist er es. Man könnte sagen, Froome ist der härteste, obwohl du es nicht wirklich vergleichen kannst, weil du jedes Jahr bestimmte Rennen fährst und ein bestimmtes Niveau hast. Der größte Unterschied bei Froome ist vielleicht, dass er ein sehr starker Zeitfahrer ist. Das macht es für mich schwerer.
 
Wie kannst du ihn schlagen?
Zunächst einmal ist es immer schwer zu sagen, wer ein dreiwöchiges Rennen gewinnen wird, auch wenn es relativ einfach erscheint, wenn du es von außen betrachtest. Bei jedem Rennen kann alles Mögliche passieren, und das gilt vor allem für die Tour de France. Man kann sich nicht sicher sein, dass man gewinnt, selbst wenn man gute Beine hat. Wir alle haben gute Tage und schlechte Tage. Manchmal ist unser Team stark, an anderen Tagen nicht. Alle möglichen Faktoren und Situationen kommen ins Spiel. Ja, er ist der große Favorit für den Sieg, aufgrund der Resultate, die er hatte, aber wir haben sehr hart gearbeitet, wir sind mental konzentriert und sehr motiviert, ihm das Leben schwer zu machen.
 
Die erste Woche der Tour hat es in sich. Wirst du dich speziell darauf vorbereiten?
Jeder Tour-Starter weiß, dass die ersten sieben Etappen anspruchsvoll werden, egal, wo sie ausgetragen werden. Was den Start des Rennens in England angeht, glaube ich, dass es den Radsport dort ankurbeln wird, weil der Sport sich dort in letzter Zeit so entwickelt hat – dank der Erfolge, die ihre Fahrer auf der Bahn, aber auch auf der Straße hatten, mit Wiggins, mit Froome, mit Cavendish. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Prolog der Tour 2007. Die Atmosphäre war absolut unglaublich. Ich weiß nicht, ob wir die Zeit haben, uns diese Etappen anzuschauen – wegen der Rennen, die ich fahre –, aber die Pavé-Etappe werden wir auf jeden Fall in Augenschein nehmen, um zu sehen, wie wir uns am besten auf diese Etappe vorbereiten. Das ist ein schwerer Tag, es hat etwas von einem Lotteriespiel, und wir werden erst ein Urteil fällen können, wenn wir es hinter uns haben. Es wird im Fernsehen spektakulär anzuschauen sein, aber für die Fahrer wird es keine so schöne Erfahrung. Wir hoffen einfach, dass wir ohne irgendwelche Verluste aus der Etappe hervorgehen, ohne irgendwelche Zwischenfälle.
 
 
Vincenzo Nibali
„Ich gehe in dieses Rennen mit dem gleichen Ziel – zu gewinnen.“
 
Wenn du die Wahl hättest, würdest du lieber drei spektakuläre Tour-Etappen gewinnen oder in Paris auf dem Podest stehen?
Ich habe noch nie eine Etappe der Tour gewonnen, also wäre bereits eine ein großer Erfolg. Aber es ist nicht gut, deinem Ehrgeiz Grenzen zu setzen. Erster, Zweiter oder Dritter in Paris – das sind alles großartige Ergebnisse. Aber Vierter? Nicht so verlockend. Ich weiß, dass ich 2012 einiges machen konnte, was die Leute nicht erwartet haben. Ich habe Sky ein bisschen auf Trab gehalten, und das ist mir auch letztes Jahr bei Tirreno – Adriatico gelungen, wo ich Froome geschlagen habe. Wenn die Strecke passt, werde ich dieses Jahr wieder versuchen, das Rennen aufzumischen.
 
Ist der große Unterschied zwischen der Tour 2012 und 2013, dass Contador jetzt wieder in Topform ist?
Alberto ist stark, das ist klar, vor allem, nachdem 2013 bei ihm nichts geklappt hat und alle sagten, er habe es nicht mehr drauf. Aber er ist wieder da, und wie! Ich erinnere mich, wie er beim Giro 2011 aufgelegt war, als er in Topform war und ich nicht an ihn herankam. Vielleicht ist er jetzt nicht ganz so gut, aber trotzdem … Was Sky angeht, so zeigt die Tatsache, dass sie keinen ihrer besten Rundfahrer zum Giro geschickt haben, dass sie sich ihre ganze Munition für die Tour aufheben.
 
Wenn du einen der Topdomestiken von Sky morgen zu Astana holen könntest, welcher wäre es?
Richie Porte. Ich erinnere mich, dass er beim Giro das Rosa Trikot holte, obwohl er so jung war, und bis zum Schluss durchhielt. Er hatte letztes Jahr ein paar schlechte Tage, aber er ist trotzdem einer der Stärksten im Peloton. Dass Sky letztes Jahr bei der Tour zu kämpfen hatte, hat nichts zu sagen. So etwas kommt im Sport vor und ich bin sicher, dass sie ihre Probleme bis Juli gelöst haben werden.
 
Was ist der Unterschied zwischen dem Nibali, der die Tour 2012 zuletzt bestritt, und der Version, die wir im Juli sehen werden?
Was meine Einstellung zur Tour oder zum Giro oder einer anderen großen Rundfahrt angeht – gar keiner. Ich gehe in dieses Rennen mit demselben Ziel – zu gewinnen. Was in diesem Jahr bisher [Stand Mitte Mai] anders ist, sind meine Ergebnisse. Ich habe noch keinen einzigen Sieg, und das ist beunruhigend. Aber meine Konzentration, mein Training und meine Einstellung zu den Rennen sind dieselben. Ich habe gehört, dass der Auftakt schwer ist, allerdings war ich noch nie in Yorkshire und habe es nie als Tourist besucht. Wenn du das ganze Jahr Rennen fährst, willst du irgendwo hin, wo das Wetter garantiert sommerlich warm ist, was im November in Yorkshire unwahrscheinlich ist! Es ist jedoch nicht ungewöhnlich, dass der Start der Tour schwer ist. Ich erinnere mich, dass es die erste Etappe 2012 in Seraing in sich hatte – viele kleine Anstiege und schmale Straßen, wo Peter Sagan gewann. Mit dieser Art von Spannung müssen wir immer leben, selbst wenn die Roubaix-Etappe sicher für noch mehr Chaos als normalerweise sorgen wird. Du kannst noch so viel Material und Equipment getestet und noch so oft über das Pavé gefahren sein – eine gute Position und ein gutes Team, das dich unterstützt, sind das A und O. Vor allem brauchst du Glück! Ich erinnere mich noch, wie Fränk Schleck sich 2010 das Schlüsselbein brach und seine Tour zu Ende war. Aber der Teil der Tour in den Vogesen umfasst eine Etappe mit derselben Ankunft wie 2012, was ermutigend für mich ist. Wenigstens weiß ich, was kommt.
 
 
Weiterlesen? Die Analyse der weiteren Tour-Favoriten finden Sie in Procycling Ausgabe 125 / Juli 2014.



Cover Procycling Ausgabe 125

Den vollständingen Artikel finden Sie in Procycling Ausgabe 125.

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