Hoffnungsvolle Alpen-Generation

Seit Jahren befindet sich der österreichische Radsport im Aufwind. Das liegt vor allem an einer mittlerweile stattlichen Anzahl von jungen Profis, die die Alpenrepublik im Peloton vertreten. Procycling hat die Karrieren von Michael Gogl, Patrick Konrad und Co. einmal genauer unter die Lupe genommen – und ist auf ein erstaunlich strukturiertes System zur Förderung talentierter Athleten gestoßen.

 

Die erste Tour de France ist für einen Profi immer etwas ganz Besonderes. „Die Begeisterung der Fans und die Aufmerksamkeit, die man in Frankreich bekommt: All das ist einfach enorm und war für mich auch ungewohnt“, sagt Patrick Konrad nicht umsonst. Der 24-Jährige aus Mödling feierte in diesem Sommer sein Debüt bei der großen Schleife. Im Trikot von Bora – Argon 18 gehörte der Nachwuchsprofi dabei direkt zu den Leistungsträgern. Auf der 16. Etappe mischte er erfolgreich im Finale mit und wurde Tageszwölfter, in der Wertung der besten Jungprofis belegte er Rang zehn. „Die Teilnahme an der Tour war immer mein Traum – seit ich mit 14 mit dem Radfahren angefangen habe“, blickt er auf seine Anfänge zurück.
Seinen Platz im Aufgebot von Bora – Argon 18 hatte sich Konrad redlich verdient: Als einer der talentiertesten Österreicher bekam er im vergangenen Jahr seinen ersten Profivertrag, seitdem entwickelte sich der begabte Rundfahrer schnell zum Leistungsträger seiner Mannschaft –  ein Talent, das es ganz nach oben schaffen will und das einer goldenen Generation junger, talentierter österreichischer Radsportler entstammt. Konrads Karriere steht nämlich symbolisch für den Aufschwung im österreichischen Radsport: Insgesamt zwölf Fahrer aus der Alpenrepublik sind derzeit in den obersten beiden Radsport-ligen unterwegs, sieben davon sind 26 Jahre alt oder jünger und mit Bernhard Eisel ist nur einer über 30 – ein Pool an Talenten, wie es ihn in dieser Form in Österreich noch nie gab. „Wir kennen uns alle aus unseren Zeiten bei den Junioren oder der U23. Damals haben wir uns gegenseitig gepusht. Wir wollten alle Profis werden“, erinnert sich Konrad.
Eine goldene Generation. Zwar waren immer starke österreichische Fahrer im Peloton vertreten, doch lange war man ein Land der Einzelkämpfer: Peter Luttenberger, Georg Totschnig, Bernhard Eisel, Thomas Rohregger – sie alle waren die begabtesten Fahrer ihrer Jahrgänge und hatten den Sprung nach oben geschafft. „Die Zahl an jungen Österreichern in den höchsten beiden Radsportligen derzeit ist schon beeindruckend“, findet auch Thomas Rohregger. Der Tiroler war von 2006 bis 2013 Profi und fuhr unter anderem für die Mannschaften Milram und Trek alle drei großen Landesrundfahrten. „Es zeigt auch, dass die Nachwuchsarbeit bei uns funktioniert“, so Rohregger weiter.
 
Ein strukturiertes Fördersystem
Er spielt damit auf das ausgeklügelte System an, von dem die jungen Wilden profitiert haben. Michael Gogl bestreitet derzeit seine erste Profisaison im WorldTour-Team Tinkoff – Seite an Seite mit Radsportgrößen wie Albert Contador und Peter Sagan. „Es gibt bei uns schon einmal zwei Grundbausteine im Radsport, die uns jungen Fahrern das Leben wesentlich erleichtern: die Olympia-Förderung und das Bundesheer. Wenn man es also in die entsprechenden Kader schafft, ist man als Athlet nach der Schule finanziell einigermaßen abgesichert und kann sich voll auf den Sport konzentrieren“, erzählt er. Auch Gogl freut sich über den aktuellen Aufschwung im österreichischen Radsport: „Wir kennen uns alle untereinander richtig gut. Jeder weiß vom anderen, wie motiviert er ist – das hat uns schon früher angespornt. Und genau die Leute sind dann auch Profis geworden“, so der 22-Jährige. Gogl nennt neben den organisierten, finanziellen Förderungen allerdings noch einen anderen Faktor des österreichischen Erfolgs – ein System, das aufgrund seiner Einfachheit funktioniert, nicht aufgrund großer Budgets. „In Österreich gibt es sechs Continental-Teams, die eine ideale Bühne für den Nachwuchs sind. Für all diese Mannschaften ist die Österreich-Rundfahrt die wichtigste Bühne des Jahres. Das Besondere bei uns ist aber, dass es in den vergangenen Jahren eine Qualifikation für die Ö-Tour gab: Nur die besten heimischen Mannschaften durften dorthin – und das funktionierte nur über UCI-Punkte. Die Teams mit ihren jungen Fahrern wurden also gezwungen, international zu fahren. Wir alle haben schon sehr früh UCI-Rennen im Ausland bestritten – eine unglaublich gute Möglichkeit, sich zu entwickeln.“ 2015 fuhr Gogl für das Tirol Cycling Team, für das auch schon Patrick Konrad oder etwa Georg Preidler (heute Team Giant-Alpecin) in die Pedale traten. „Wir standen dort schon früh in der Verantwortung – das war natürlich auch eine große Chance“, erinnert sich Konrad. Wie viele andere junge Österreicher nutzte er letztlich die Österreich-Rundfahrt selbst, um sich für den Profivertrag bei Bora zu empfehlen: 2014 wurde er Vierter des damals in die Kategorie 2.HC eingestuften Etappenrennens. „Die Österreich-Rundfahrt ist sicherlich auch ein wichtiger Baustein. Wenn man sieht, wer jetzt von uns Profi ist und wer sich bei der Österreich-Rundfahrt profiliert hat, stößt man auf viele Namen: Ricardo Zoidl, Lukas Pöstlberger oder eben auch ich sind bei der Ö-Tour ins Rampenlicht gefahren.“ Auch Thomas Rohregger misst der Österreich-Rundfahrt eine hohe Bedeutung bei: „Sie hatte immer einen guten Ruf – auch international. Leider ist sie in diesem Jahr um eine Kategorie auf 2.1 heruntergestuft wurden und war nicht ganz so gut besetzt.“
 
Abschluss mit der Vergangenheit
Glocknerkönig 2014, aussichtsreicher Gesamtwertungskandidat 2015 – auch Felix Großschartner hat seine Chance bei der Ö-Tour genutzt. Seit diesem Jahr tritt der 22-Jährige für die polnische Zweitliga-Equipe CCC Sprandi in die Pedale – und gehört dort promt zu den Leistungsträgern, wie er unter anderem im August mit Rang sieben bei der Tschechien-Rundfahrt unter Beweis stellte. „Die meisten Jungen, die in den letzten Jahren Profi geworden sind, waren schon in der U17 gemeinsam im Trainingslager. Ich habe auch meiner früheren Mannschaft Felbermayr sehr viel zu verdanken. Da konnte ich von erfahrenen Fahrern lernen“, so Großschartner. Ein kaderbasierter Fördertopf zur finanziellen Absicherung, ein schlaues Qualifikationssystem, das die heimischen Teams zu internationalen Rennen zwingt, und das gegenseitige Pushen – leicht hatte es Österreichs „golden generation“ trotzdem nicht: Gogl, Großschartner, Konrad und Co. begannen schließlich gerade dann mit dem Radsport, als der im Dopingsumpf zu versinken drohte: „Als Bernhard Kohl 2008 Dritter bei der Tour wurde, war das mein erstes Jahr. Es gab einen riesigen Radsportboom und sogar in den Gasthäusern lief die Tour im Fernsehen“, erinnert sich Großschartner. „Und dann war alles auf einmal vorbei, der Held der Nation war auf einmal keiner mehr“, erzählt er weiter. „Kohl, Pfannberger – man wurde ab dem Zeitpunkt immer mit irgendwelchen Dopinganschuldigungen konfrontiert und hat sich rechtfertigen müssen“, bestätigt Gogl. Mit diesen Folgen kämpft der österreichische Radsport noch immer – ähnlich wie Deutschland. Sponsoren zu finden fällt schwer, der nationale Verband, die Österreich-Rundfahrt und die Teams kämpfen Jahr für Jahr darum zu überleben. „Als die ganzen großen österreichischen Radprofis aus dem Verkehr gezogen worden sind, haben die natürlich auch den restlichen österreichischen Radsport mitgekommen“, so Konrad, der aber auch festgestellt hat, dass nach den Skandalen schnell ein Umdenken stattfand: „Die Teams haben gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann, und fast alle auf junge Fahrer wie uns gesetzt. Eine neue Generation. Und an der Anzahl junger Österreicher bei den Profis heute merkt man auch, dass die harte Aufbauarbeit Früchte trägt.“

 

WM 2018 im eigenen Land
Trotz des Aufschwungs, der vielen Talente und der Fahrer, die es bereits geschafft haben: Probleme hat der österreichische Radsport noch immer genug. Nicht nur die für den Nachwuchs so wichtige Österreich-Rundfahrt wurde nach finanziellen Schwierigkeiten von 2.HC eine Kategorie niedriger auf 2.1 gestuft, auch ein österreichisches Profiteam in den ersten beiden Ligen sucht man vergeblich. „Mit dem Fahrerpotenzial, das wir haben, sollte es eigentlich möglich sein, so ein Team auf die Beine zu stellen. Aber es fehlt – wie so oft – am nötigen Budget“, weiß Thomas Rohregger, der deshalb jungen österreichischen Fahrern trotz der Voraussetzungen im eigenen Land einen schwierigen Weg nach oben ausmalt: „Es ist leider so: Als österreichischer Fahrer ist man international nicht interessant. Einzig das Team Bora schielt auf unseren Markt und Trek ein bisschen. Ansonsten muss man schon außergewöhnlich gute Leistungen erzielen, denn normalweise wollen Sponsoren Fahrer aus ihrem Land.“ Viele Profis als Vorbilder, gleichzeitig aber eine große Stufe zum Profi aufgrund mangelndem internationalem Interesse: Dass die Radsportwelt mehr auf den österreichischen Radsport aufmerksam wird, dazu könnte auch die Weltmeisterschaft 2018 beitragen. Die findet nämlich im tirolerischen Innsbruck statt. Genau zum richtigen Zeitpunkt, scheinen doch die jungen Österreicher derzeit gerade alle auf dem Weg, sich in den nächsten Jahren in die Spitze des internationalen Radsports hineinzufahren. „Natürlich wäre es die beste Werbung, wenn bei der WM im eigenen Land auch ein Österreicher vorne mitfahren könnte“, hofft Rohregger, der in die Zusammenarbeit des Österreichischen Radsportverbandes mit der UCI involviert ist. Patrick Konrad freut sich bereits auf das Heimspiel, er ist schließlich einer, der in zwei Jahren in Innsbruck um Medaillen fahren könnte. Für die Nachwuchshoffnung galt es in diesem Jahr allerdings erst einmal, seine erste Teilnahme an der Tour de France zu meistern. „Auf der 16. Etappe habe ich durch einen Fahrfehler an der 500-Meter-Marke eine noch bessere Platzierung als den zwölften Rang vergeben. Es war mein Ziel, einmal auf das Podium zu fahren oder in Reichweite davon. Leider bin ich nur einmal in die Situation gekommen, am Ende der Etappe um einen Spitzenplatz zu fahren. Ich hätte gerne öfter gezeigt, dass ich solche oder noch bessere Leistungen bringen kann“, sagt er. Mit Blick auf die kommenden Jahre hofft Konrad allerdings nicht umsonst: „Meine Leistungen geben mir sehr viel Motivation für die Zukunft.“



Cover Procycling Ausgabe 152

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