Aufbruch der Jugend

Der Radsport scheint über den Berg zu sein: Dass junge Profis nun fast sofort Erfolg haben, sehen viele Beobachter als Beleg dafür, dass der Sport sein Dopingproblem in den Griff bekommen hat. Wir sprechen mit einigen jungen Fahrern, die den Sport im nächsten Jahrzehnt definieren könnten.

 

Seit einigen Jahren sprechen Fahrer und Teammitarbeiter optimistisch von einem „neuen Radsport“. Sie glauben, dass der Sport jetzt wirklich die Kurve gekriegt hat und nur noch eine Minderheit auf Doping zurückgreift. Einige nennen die niedrigeren Durchschnittsgeschwindigkeiten bei den großen Rundfahrten als Indiz, andere verweisen auf die Fortschritte, zu denen Initiativen wie der biologische Pass und das Verbot von Injektionen beigetragen haben. Für Allan Peiper, Sportdirektor von BMC Racing, gab es im August 2011 einen klaren Lichtblick nach der dunkelsten Ära des Radsports. Er war mit seinen Schützlingen von HTC-Highroad beim 216 Kilometer langen Vattenfall Cyclassics in Hamburg, als der junge, fast unbekannte Italiener Matteo Trentin sich einer erfolgversprechenden Ausreißergruppe mit gestandenen Profis anschloss. Zu seinen Begleitern zählten Michael Barry, Rinaldo Nocentini, Marco Marcato und Pavel Brutt. Trentin, ein Quick-Step-Fahrer, war gerade 22 Jahre alt und erst seit einem knappen Monat Profi. Trotzdem arbeitete er gut mit, bis die Gruppe von den Sprinter-Teams geschluckt wurde. „Das war ein Typ, der gerade erst Profi geworden war, und das war fantastisch. Danach hat er ein paar nette Siege gefeiert“, sagt Peiper unter Verweis auf die zwei Tour-Etappen und eine Tour de Suisse-Etappe, die Trentin anschließend für sich entschied. Der Eindruck, den Trentins Leistung auf Peiper machte, ist geblieben und hat sich verstärkt.
 
„Die Veränderungen im Profiradsport machen sich positiv bemerkbar: Die jungen Fahrer, die Profi werden, können sofort mithalten und in einigen Fällen sogar große Rennen gewinnen“, sagt Peiper. „Vielleicht nicht gerade bei Flandern oder Roubaix oder den großen Landesrundfahrten, aber bei anderen Rennen können sie sich in Szene setzen. Das ist wirklich ein gutes Zeichen für den Radsport und zeigt, dass die Mentalität sich geändert hat.“ Peipers Eindrücke werden durch die Resultate untermauert. 2014 gewannen Fahrer, die 24 Jahre oder jünger waren, 28 WorldTour-Rennen. Der Löwenanteil ging an Profis des großen Jahrgangs 1990: Nairo Quintana, Fabio Aru, Peter Sagan, Michał Kwiatkowski und Michael Matthews zum Beispiel. Neben diesem erlesenen Grand Cru sorgten frischgebackene Neuprofis für weitere Erfolge. Die gefeierten Yates-Zwillinge Simon und Adam hatten eine fabelhafte Debüt-Saison, besonders Adam, der mit 21 Jahren die Türkei-Rundfahrt gewann und Sechster beim Critérium du Dauphiné wurde. Dann fuhr er einige Wochen nach seinem 22. Geburtstag mit der Vuelta a España seine erste große Landesrundfahrt zu Ende. Lotto-Belisol-Profi Tim Wellens (23) triumphierte bei der Eneco Tour und initi-ierte dann bei der Lombardei-Rundfahrt nach rund 250 Rennkilometern den entscheidenden Angriff. Michael Valgren (22) gewann die dänische Straßenmeisterschaft und die Dänemark-Rundfahrt. Er gehörte auch zu den zehn Fahrern in der Top 30 der Weltmeisterschaft, die 25 Jahre oder jünger waren.
 
Wir haben mit sieben Jungprofis gesprochen, die in den nächsten zehn Jahren groß rauskommen können, und sie gefragt, was sie von der Zukunft erwarten.
 
 
Bob Jungels

Alter: 22
Trek Factory Racing
 
Auf Mallorca versteckt, verbrachte Bob Jungels die erste Januar-Woche 2015 damit, bei einem privaten Trainingslager mit seinem Trek-Factory-Teamkollegen Fränk Schleck Kilometer abzuspulen. Im Frühwinter konnten die Luxemburger mehr Zeit als sonst zu Hause verbringen, bevor sie sich auf die Balearen zurückzogen. Dann fingen sie an, jede Menge Kilometer in die Beine zu bekommen: sechseinhalb Stunden an dem Tag, an dem wir mit Jungels sprechen, fünf Stunden am Tag davor und vier Stunden vorgestern. Jungels, der mit 22 schon zwei Profi-Jahre hinter sich hat, glaubt, dass die Serie junger Erfolgsgeschichten teilweise das Resultat eines weniger hierarchischen Pelotons ist. „Ich glaube, es gibt viel Raum für die jungen Fahrer und sie haben eine andere Art zu fahren – vielleicht ein bisschen aggressiver.“ Wir merken an, dass es vielleicht weniger Respekt im Peloton gibt, wie Veteranen seit Langem beklagen. Aber Jungels versichert, dass es ihn immer noch gibt. „Du hast immer noch die großen Stars. Sie haben immer noch denselben Status im Fahrerfeld. Fabian Cancellara zum Beispiel – wenn er sich durch das Feld bewegt, machen alle Platz. Ich glaube, dass der Respekt vor erfahreneren Athleten immer noch da ist. Ich würde sogar sagen, dass es manchmal mehr als Respekt ist – ich lasse mich ein bisschen einschüchtern.“ Aber wenn es nicht um die ganz großen Namen geht, sieht Jungels „mehr Kämpfe“ im Peloton. „Alle wollen ihren Platz behaupten, egal, wer vor dir oder neben dir ist. Jeder sieht seine Chance und will sie nutzen.“ Ein weiterer Grund für den Vormarsch der Jungen, glaubt Jungels, ist, dass sie von den Fortschritten in der Sportwissenschaft profitieren. „Wir sind mit SRM-Geräten großgeworden. Jetzt geht es von der Ernährung übers Training bis hin zur Regeneration und es ist ernsthafter – wir sind 24 Stunden am Tag Athleten. Für junge Fahrer ist es einfacher umzusetzen und zu verstehen, weil wir daran gewöhnt sind. Vielleicht sind die erfahreneren Leute nicht so daran gewöhnt, sodass sie alles umstellen müssten, was sie in den letzten zehn Jahren im Radsport gemacht haben.“
 
Als Jungels 2013 in die WorldTour-Mannschaft von Trek kam, war er ein sehr junger Fahrer in einem Team von Veteranen. Aber dass so wenige Youngster dabei waren, stört ihn nicht. „Eigentlich glaube ich, dass es der perfekte Start war. Es waren so viele erfahrene Leute da, von denen ich lernen konnte. Wenn du nur von jüngeren Fahrern umgeben bist, hast du keinen Punkt, an dem du dich messen kannst.“ Was ist mit der neuen Saison? Nach einer ganzen Reihe von Erfolgen im Jahr 2013 – darunter der Sieg beim GP Nobili plus eine Etappe und der fünfte Gesamt-rang bei der Luxemburg-Rundfahrt – blieb er 2014 sieglos, wenn auch mit einigen sehr knappen Niederlagen. So zog er auf der 5. Etappe von Paris – Nizza im Sprint gegen Carlos Betancur den Kürzeren. Im Juni wurde er beim Auftakt-Zeitfahren der Dauphiné Dritter – neun Sekunden hinter Chris Froome. 2015 soll möglichst früh wieder ein Sieg her. Aber Fortschritte messen sich nicht nur daran, wie oft ein Fahrer jubelnd die Arme hochreißen kann. Er fuhr bei der Vuelta im vergangenen Jahr – seiner ersten großen Rundfahrt – aggressiv und wäre sie zu Ende gefahren, versichert er, wenn eine schmerzhafte Entzündung am Gesäß ihn vor der 19. Etappe nicht zur Aufgabe gezwungen hätte. „Ich habe einige Fortschritte gemacht und bin jetzt bereit, auch bei größeren Rennen um Etappensiege mitzufahren“, sagt Jungels.
 
Unter anderem peilt er Paris – Nizza als eines seiner Jagdreviere an. „Im Prolog zum Beispiel und bei den hügeligen Etappen werde ich definitiv versuchen, auf Sieg zu fahren und mich vorne sehen lassen“, verspricht er. „Es ist ein neues Jahr für mich und ich will früh punkten.“ Und Jungels kann sich mental und körperlich auf eine produktive Saisonpause verlassen. „Der Winter war solide“, versichert uns der junge Luxemburger. „Ich habe nach der Vuelta ziemlich früh mit dem Training angefangen und das Wetter war gut. Meine Form ist für Januar nicht schlecht.“ Wir haben den Eindruck, dass der 22-Jährige tiefstapelt.
 
 
Michael Valgren

Alter: 21
Tinkoff-Saxo
 
Wir sind in der Bar eines grell erleuchteten und etwas schäbigen Hotels im chinesischen Chong-Li. Es ist die Peking-Rundfahrt und alle sind erschöpft und sehnen das Ende der Saison herbei. Der 21 Jahre alte Michael Valgren schlendert in eine ruhige Ecke, um uns ein Interview zu geben. Der Tinkoff-Saxo-Fahrer wirkt entspannt, sicher und selbstbewusst, aber nach der starken Saison, die er hatte, ist das wohl kein Wunder. Immerhin ist er dänischer Meister geworden, hat die Dänemark-Rundfahrt gewonnen und Alberto Contador bei der Vuelta zum Sieg verholfen. Im Laufe des Interviews kommt sein älterer Teamkollege Rory Sutherland – der 2015 bei Movistar fahren wird – vorbei und bittet Valgren um sein Portemonnaie. Anscheinend ist er dran, das Bier zu bezahlen. Er reicht es ihm mit einem trockenen Lächeln. Selbst wenn er nicht körperlich in der Gruppe ist, ist er Teil des Teams. „Die Saison hatte Höhen und Tiefen“, sagt Valgren, „aber seit Mai, seit den Vier Tagen von Dünkirchen, ging es nur bergauf. Ich weiß nicht, was los war, aber es war ziemlich gut.“ Ein Ergebnis, auf das er besonders stolz ist, ist die Weltmeisterschaft in Ponferrada, weil „es fast gereicht hätte, um in der ersten Gruppe um den Sieg mitzufahren. Dass ich als Neuprofi bei einem 250 bis 260 Kilometer langen Rennen im Finale vertreten war, gibt mir viel Selbstvertrauen für die nächsten Jahre.“
 
Er hat einige lebhafte Erinnerungen an diesen langen und verregneten Tag in Spanien. „Ich habe diesen Kämpferinstinkt, der mich angetrieben hat, mich wieder an die Spitzengruppe heranzukämpfen. Ich war Amstel und Lüttich gefahren, aber nach 190 Kilometern zurückgefallen, und das ist nicht dasselbe wie 250 Kilometer zu fahren und mit den Ersten anzukommen, verstehst du? Ich bin ziemlich sicher, dass mein Niveau durch die Vuelta einfach höher war.“ Nicht, dass die Vuelta leicht war. Obwohl das Team voll des Lobs für seine „superben“ Dienste für die Mannschaft war, hat er „21 Etappen lang gelitten“. Er fragte sich, ob er die Leistung bringen konnte, weil „ich nicht die Power hatte, die ich normalerweise hätte“. Valgrens größte Sorge als Profi ist, ob er sich verbessert oder nicht, obwohl er weiß, dass er alle Selbstzweifel in etwas Positives verwandeln muss, wie er sagt. „Ich will sie einfach nicht enttäuschen“, sagt er. „Wenn du zeigst, dass du dich nicht entwickelst, verlieren sie vielleicht ein bisschen den Glauben an dich und setzen dich nicht mehr bei den großen Rennen ein, deswegen bin ich sehr motiviert, mich weiter zu steigern. Nach jeder Winterpause mache ich mir Gedanken, ob ich es auf die nächste Stufe schaffe und ob ich mich weiterentwickeln kann. Normalerweise entwickelst du dich einfach und wirst besser, aber das ist nie 100-prozentig sicher. Du weißt nie. Das ist immer meine Sorge.“ Aber Valgren ist jemand, für den das Glas immer halb voll ist. Jedes Hindernis, das er überwindet, macht ihn zu einem besseren Profi: Je besser er als Zeitfahrer wird, umso größer seine Chancen, es ins Tinkoff-Saxo-Aufgebot für die großen Rundfahrten zu schaffen. 21 Tage bei der Vuelta im Wind, weit weg vom Geplauder seiner Kollegen im Peloton, und er lernt, wie es sein wird, die Tour zu fahren. Auch das rote Trikot des dänischen Meisters statt des leuchtend gelben Tinkoff-Saxo-Leibchens zu tragen ist eine positive Herausforderung, sagt er. „Überall sind gelbe Trikots, und dann ist da ein rotes. Manchmal lassen dir die anderen Fahrer keinen Platz und du  musst schreien und ein bisschen mehr drängeln. Das ist eine gute Erfahrung für mich, leichter durch das Peloton zu kommen.“
 
Letztlich sieht Valgren seine Zukunft in den Klassikern. Er hat die U23-Version von Lüttich – Bastogne – Lüttich 2012 und 2013 gewonnen und ist in der Intensität der Eintagesrennen mit ihren ständigen Scharmützeln in seinem Element. Aber vor allem will er immer besser werden und seinen Platz in der Elite festigen. „Ich hatte Angst vor der ersten Saison“, gibt er offen zu, „aber dann war sie wirklich gut. Jetzt freue ich mich auf die nächste.“
 
 
Stefan Küng

Alter: 21
BMC Racing
 
Wir sind im spanischen Denia, wo BMC vor der Saison seine Zelte aufgeschlagen hat. So wie Stefan Küng uns auf dem Flur des Hotels entgegengeschlendert kommt, scheint sich der jugendlich frische, 1,90 Meter große Rouleur in einer Umgebung, die weniger selbstbewusste Fahrer verunsichern könnte, wohl zu fühlen: Eine Handvoll BMC-Stars treibt sich hier herum. Aber wenn es sich anfühlt wie der erste Schultag, so lässt Küng es sich nicht anmerken. Wir beginnen mit dem Interview und kurz darauf setzt sich der Pressesprecher da-zu. Küng bekommt eine Kappe in Teamfarben. Wir haben das Gefühl, dass der PR-Mann nicht da ist, um uns zu überwachen, sondern um zu sehen, wie sich der junge Schweizer vor den Medien macht. 2014 triumphierte Küng bei der Tour de Normandie, gewann die Europameisterschaft im Zeitfahren und wurde Dritter im U23-WM-Zeitfahren hinter seinem neuen Teamkollegen Campbell Flakemore. Er ist Schweizer und Rouleur, kein Wunder also, dass er mit Fabian Cancellara verglichen und schon als sein Nachfolger gehandelt wird. BMC, sagt er uns, sei das beste Team, um seine Profikarriere zu starten. Und das nicht zuletzt, weil hier alle gleich behandelt werden. „Es war mein Traum, Profi zu werden, als ich vor zehn Jahren mit dem Radsport anfing“, sagt er uns. „Vor zwei Jahren habe ich meinen Schulabschluss gemacht und dann ging es sehr schnell – mit dem Nachwuchsteam und jetzt das, mein erstes Rendezvous mit den Profis. Ich finde es wirklich toll.“
 
Küng ist selbstsicher, offen und vertritt die Linie seines Teams, also ist der Pressesprecher beruhigt und geht wieder. Er fährt fort: „Ich gehe mein erstes Jahr als Profi zuversichtlich an. In diesem Team gibt es viel Respekt. Es gibt hier viele große Namen wie Philippe Gilbert, Greg Van Avermaet, Taylor Phinney und so weiter, aber sie behandeln uns hier, als wären wir alle gleich.“ Bei BMC Racing tut sich einiges, und die Mannschaft ist in den letzten zwei Jahren deutlich jünger geworden. Der Schweizer ist froh, dass er nicht nur von Veteranen umgeben ist. „Mir ist es so lieber. Wir sind eine Gruppe junger Fahrer, und alle sind motiviert und wollen in dieselbe Richtung gehen. Wie mit Campbell nach der Weltmeisterschaft: Wir haben uns unterhalten und gesagt, dass es nächstes Jahr einige Kämpfe beim Zeitfahren geben könnte, aber es ist ein Vorteil und wir können uns gegenseitig pushen. Eine gute Mischung aus Erfahrung und Jugend macht uns stark.“
 
Wie die meisten ehrgeizigen Jungprofis ist Küng heiß darauf, Erfahrung zu sammeln und Chancen zu bekommen, um Siege zu kämpfen. „Ich steige in Dubai ein, dann geht es wieder auf die Bahn und zur Weltmeisterschaft in Paris. Dann konzentriere ich mich auf die Klassiker. Ich hoffe, dass ich bei einem der Monumente starte. Wir werden sehen.“

 

Ruben Zepuntke
Cannondale-Garmin Procycling Team
 
Ein verregneter Tag in der kanadischen Kleinstadt Lethbridge im Herbst 2014. Den ganzen Tag geht es auf einem anspruchsvollen Rundkurs durch die Hügellandschaft östlich der Rocky Mountains. Extreme Nässe und teilweise 15 Prozent steile Rampen sorgen dafür, dass am Ende des 143 Kilometer langen Rennens nur noch 30 Fahrer um den Sieg kämpfen – ein selektiver Auftakt der Tour of Alberta. Auf der Schlussgeraden bestimmt die amerikanische Bissell-Equipe das Rennen. Am Hinterrad: ein 21-jähriger Deutscher, Ruben Zepuntke. Der eröffnet 200 Meter vor dem Ziel den Sprint, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Ganz rechts, nahe der Bande, hämmert er sein Rad dem Ziel entgegen – und gewinnt. „Mein erster Profisieg, ein unglaubliches Gefühl“, so seine erste Reaktion im Ziel. Für das Talent war es jedoch viel mehr als nur Erfolg – es war der Türöffner in Richtung WorldTour.
 
Ruben Zepuntke ist kein Fahrer für geradlinige Lebensläufe. Der Düsseldorfer spielte zuerst Feld- und Hallenhockey, ehe er mit 14 zum Radsport kam. Sein Können ließ er dennoch schnell aufblitzen: Mit 16 trug er erstmals das Trikot der Nationalmannschaft, mit 19 wechselte er ins Nachwuchsprogramm der Rabobank-Equipe. Als diese Anfang des vergangenen Jahres nur noch niederländische Talente verpflichtete, schlug der junge Allrounder, der 2013 nebenbei noch sein Abitur absolviert hatte, einen neuen Weg ein: Axel Merckx lockte ihn nach Amerika zum Bissell Development Team. „Er hat mir den Weg gezeigt, wie ich mich im Profifeld zurechtfinden kann“, erinnert er sich. Schon bei Rabobank hatte Zepuntke immer wieder durch internationale Topplatzierungen aufhorchen lassen. Unter Merckx’ Anleitung entwickelte er sich aber kontinuierlich weiter. Für die US-Equipe bestritt der junge Deutsche alle großen Etappenrennen auf dem amerikanischen Kontinent. Der Knoten platzte schließlich im Spätsommer: Bei der bergigen Tour of Colorado belegte er Rang 18 im Gesamtklassement – gerade einmal 30 Sekunden hinter einem gewissen Fränk Schleck. Nur eine Woche später folgte dann der größte Moment in seiner noch jungen Karriere – der Tagessieg bei der Tour of Alberta. Dass er die Rundfahrt schließlich auf Rang drei beendete, zeigte erneut, welch großes Talent er besitzt. Spätestens nach diesem Erfolg wurden auch die großen Teams auf den „German Youngster“ aufmerksam. „Andreas Klier von Garmin-Cannondale hatte schon länger ein Auge auf mich geworfen. Nach Alberta war der Vertrag dann relativ schnell unterzeichnet“, erzählt Zepuntke, der am 29. Januar – pünktlich zu seinem 22. Geburtstag – sein Debüt im Profitrikot des US-amerikanischen WorldTour-Teams gab. „Natürlich bin ich sehr motiviert. Aber irgendwie bin ich mir der Tragweite des Ganzen noch gar nicht so bewusst. Für mich ist doch schon jetzt ein Traum in Erfüllung gegangen.“
 
In dieser Saison ist es daher Zepuntkes Ziel, „zuerst einmal Fuß zu fassen und zu lernen“. Verstecken will er sich dennoch nicht. „Wir sind eine sehr junge Mannschaft, daher wird es bestimmt Möglichkeiten geben. Bei den großen Rennen reicht es sicherlich noch nicht, aber bei den kleinen werde ich meine Gelegenheiten nutzen. Ich will mich auf jeden Fall zeigen“, freut er sich. Im Laufe der Zeit hofft Zepuntke, „ein sehr guter Allrounder zu werden“. Der junge Düsseldorfer wirkt zurückhaltend, wenn er über seine Ziele spricht – aber auch dies ist eine positive Eigenschaft, die ihn auszeichnet. „Das Engagement ist vorerst auf zwei Jahre befristet. Man weiß ja nie, wie es weitergeht, aber ich hoffe, dass daraus 15 Jahre werden.“ Mit dieser Mischung aus Bescheidenheit und Talent stehen die Zeichen gut, dass Zepuntkes Wunsch nach einer langen und erfolgreichen Karriere in Erfüllung geht. Die richtige Einstellung dafür hat er.
 
 
Rick Zabel

BMC Racing Team
 
14 Jahre sind vergangen, seit Erik Zabel zum letzten Mal das Grüne Trikot bei der Tour de France gewann. Auf dem Podium am Rande der Champs-Élysées stand er damals allerdings nicht alleine. Ein kleiner Knirps mit knallgrün gefärbten Haaren kletterte mit ihm auf das Podest und saugte die Stimmung des größten Radrennens der Welt auf. Für Kenner ein gewohntes Bild: Längst waren die gemeinsamen Besuche Zabels mit seinem Sohn Rick bei den Siegerehrungen der Tour zur Tradition geworden. Dennoch hätten wohl die wenigsten erwartet, dass sich jener Rick Zabel nur einige Jahre später selbst auf den Rennsattel schwingen würde, um in die Pedalstapfen seines Vaters zu treten. „Als Kind wollte ich eigentlich wie jeder andere Junge Fußballer werden. Zum Radsport kam ich dann mit zwölf Jahren – allerdings ging es mir nur darum, Spaß am Radfahren zu finden“, erzählt der heute 21-Jährige. Aus dem anfänglichen Hobby wurde schnell mehr. Rick Zabel erinnerte sich an die imposanten Eindrücke aus Paris. Bald begann er selbst, Rennen zu fahren. Mit Erfolg: Durch sämtliche Nachwuchskategorien hindurch bewies er, dass er nicht nur die Leidenschaft, sondern auch das Können seines Vaters geerbt hatte. „Als ich dann als Junior zum ersten Mal im Nationaltrikot zur Weltmeisterschaft durfte, wusste ich, dass ich Profi werden will“, berichtet er. Der Szene blieb sein Talent nicht verborgen: 2012 wechselte er zur jungen Rabobank-Equipe. In deren Trikot wurde er deutscher Meister der U23, 2013 gewann er sogar die Nachwuchsversion der Flandern-Rundfahrt. „Mit diesen Erfolgen hatte ich mich auch für größere Aufgaben empfohlen“, weiß er heute.
 
BMC unterbreitete dem sprintstarken Allrounder schließlich ein Angebot, ab 2014 in der WorldTour zu fahren. „Wenn man als junger Fahrer die Chance bekommt, Schulter an Schulter mit Cadel Evans oder Thor Hushovd zu fahren, sollte man diese auch nutzen“, überlegte er nicht lange. Wieder war der junge Zabel seinem Traum einen Schritt näher – auch wenn die Vergangenheit des Vaters aufgrund dessen Dopinggeständnisses in der Zwischenzeit oft auch zur Last geworden war. „Natürlich vergleichen mich viele Leute mit ihm – allerdings mag ich das eigentlich gar nicht so sehr. Ich bin schließlich Rick Zabel und nicht Erik Zabel“, sagt er immer wieder. Dass dieser Rick Zabel längst nicht mehr im Schatten seines Vaters zu stehen braucht, bewies er bereits in seinem ersten Profijahr. 77 Renntage gingen 2014 auf sein Konto – von der Tour Down Under im Januar bis zur Tour of Beijing im Oktober. „Auf dieses Debüt bin ich sehr stolz. Insgesamt hatte ich zwölf Top-Ten-Platzierungen. Das kann sich auf jeden Fall sehen lassen“, so sein Fazit. Besonders gerne erinnert er sich an die Tour of Britain: Fünfmal sprintete er dort unter die besten Zehn. „Eine Woche vor der WM waren hier Leute wie der spätere Weltmeister Michal Kwiatkowski dabei. Ich will nicht sagen, dass ich mit ihnen auf Augenhöhe war, aber ich konnte ihnen ab und an die Stirn bieten.“
 
 Aufgrund solcher Ergebnisse vergessen viele, dass Rick Zabel erst 21 Jahre jung ist, wenn er heuer bereits in sein zweites Jahr in der höchsten Radsportliga startet. „Mein Programm ist eine ganze Kategorie besser als noch 2014. Ich darf viele der großen Klassiker fahren – auch Flandern und Roubaix“, freut er sich und fährt fort: „Mein Ziel ist es, dass ich diese Rennen beende und gute Arbeiten verrichte.“ In Anbetracht der starken Besetzung des BMC-Teams sind es dabei vor allem Helferaufgaben, die der Jungprofi zu erfüllen hat. Dennoch hofft er auf das eine oder andere Resultat bei kleineren Rennen. „Ich will da anknüpfen, wo ich letztes Jahr aufgehört habe. Ein Sieg wäre natürlich ein Traum“, sagt er. Auch die erste große Landesrundfahrt ist für Rick Zabel ein Thema. Ob Giro oder Vuelta, steht derzeit noch nicht fest – nur eines ist sicher: Seiner Kindheitserinnerung an die Champs-Élysées, als er das größte Radrennen der Welt auf den Schultern seines Vaters live erlebte, ist er wieder einen Schritt nähergekommen.
 
 
Phil Bauhaus
Team Bora–Argon 18
 
Wenn sich bei der deutschen Straßenmeisterschaft ein 19-Jähriger das Podium mit Größen wie André Greipel und John Degenkolb teilt, ist das mehr als nur ein beachtenswertes Ergebnis. Eigentlich hatte Phil Bauhaus an jenem 29. Juni des vergangenen Jahres nicht seinen besten Tag erwischt. Dennoch bog er an Degenkolbs Hinterrad auf die Zielgerade der nationalen Titelkämpfe in Baunatal ein. „Greipel setzte sich ein paar Meter ab, doch ansonsten überholte mich niemand mehr. Das war sicherlich mein größtes Highlight in meiner bisherigen Karriere“, erinnert er sich stolz an seinen Bronze-Auftritt, der ihn zum Senkrechtstarter des Jahres 2014 werden ließ. Sein kometenhafter Aufstieg kommt allerdings nicht von ungefähr. Trotz seines jungen Alters kann Bauhaus schon auf einen reichen Erfahrungsschatz im Radsport aufbauen: Bereits mit zehn Jahren fuhr er seine ersten Rennen. Fast in jeder Nachwuchskategorie gelang ihm dabei zumindest ein Sieg. Der richtige Durchbruch erfolgte aber erst mit dem Wechsel zur Continental-Equipe Stölting Anfang 2013. „In den letzten zwei Jahren ging es bei mir stetig bergauf“, weiß Bauhaus selbst. Einem Etappensieg bei der Bulgarien-Rundfahrt 2013 folgte im Anschluss eine famose Saison 2014. Sein Erfolg bei den nationalen Meisterschaften stand dabei nicht alleine: Insgesamt fünf Siege sammelte der junge Bocholter im Laufe des vergangenen Jahres bei UCI-Rennen. „Umso mehr freue ich mich, dass ich nun den Schritt ins Profilager geschafft habe“, sagt die Neuverpflichtung des Teams Bora – Argon 18.
 
Dabei war sein Wechsel längst keine Selbstverständlichkeit – denn eigentlich hatte sich Bauhaus bereits bis 2016 an die Stölting-Mannschaft gebunden. Mit ihr gemeinsam wollte er den Aufstieg in die nächsthöhere Liga vollziehen. Als die Stölting-Verantwortlichen ihre ambitionierten Pläne allerdings nicht erfüllen konnten, gaben sie Bauhaus frei – zur Freude von Ralph Denk. Der Bora-Teamchef fackelte nicht lange und verpflichtete das Talent für die Saison 2015. „Ich denke schon, dass es an der Zeit ist. Ich bin auch vom Kopf her so weit, dass ich diesen Schritt gehen will“, so die junge Sprinthoffnung. Denk selbst hält große Stücke auf ihn und sieht ihn in Zukunft sogar als eine der Stützen seiner Mannschaft. Nachdem Bauhaus im Herbst seine Ausbildung als Kaufmann im Groß- und Außenhandel abgeschlossen hatte, arbeitete er über den Winter hart an seiner Form. Dabei kam ihm auch seine langjährige Erfahrung entgegen: „Ich bin noch sehr jung, aber ich werde weiter meinen Fokus auf den Sprint legen. Ich kann mich gut im Feld bewegen und sehe die Lücken – das sind gute Voraussetzungen“, ist er überzeugt. Seinen Erfolg bei den deutschen Straßenmeisterschaften will er dabei nicht überbewerten. „Ein Sprinter hat immer eher die Chance, vorne reinzufahren, als ein Bergfahrer – dessen bin ich mir schon bewusst.“
 
Dass er dennoch schon jetzt für die eine oder andere Überraschung gut ist, zeigte der 21-Jährige bereits bei seinem Profi-debüt im Rahmen der Mallorca Challenge, als er das Trofeo Santanyi auf Rang 17 beendete – wieder auf Tuchfüllung zu Greipel & Co. Es besteht also kein Zweifel daran, dass der junge Phil Bauhaus seinen Weg fortsetzen wird. Unter der Leitung des erfahrenen Ralph Denk besitzt der spurtstarke Hoffnungsträger alle Chancen, einmal ein ganz Großer zu werden. Im Windschatten von André Greipel und John Degenkolb hat er sich schließlich nicht nur durch seinen famosen Auftritt bei den deutschen Straßenmeisterschaften am 29. Juli 2014 positioniert.
 
 
Nikias Arndt
Team Giant-Alpecin
 
An die kleine Gemeinde Le Teil im Süden Frankreichs denkt Nikias Arndt gerne. Der Grund hierfür ist aber weder die landschaftlich reizvolle Lage an der Rhone noch das steinerne Stadttor. Es sind vielmehr die Erinnerungen an die Dauphiné Libéré, die hier im letzten Jahr Station machte. Arndt war eigentlich als Anfahrer für seinen südafrikanischen Teamkollegen Reinardt Janse van Rensburg vorgesehen. Als er 400 Meter vor dem Ziel den Sprint eröffnete, konnte ihm allerdings nicht einmal sein Kapitän folgen. „Ich nutzte die Gunst der Stunde und hatte unverhofft den größten Erfolg meiner bisherigen Karriere eingefahren“, blickt er zurück. Der Etappensieg bei der Dauphiné deutet es bereits an: Eigentlich ist Nikias Arndt im Kreis der jungen Hoffnungsträger schon ein alter Hase. 2015 geht der 23-Jährige schon in seine dritte Profisaison. In seiner Mannschaft Giant-Alpecin gilt er als feste Größe. „Mittlerweile ist meine Verantwortung ganz schön gewachsen. Ich werde hauptsächlich bei den WorldTour-Events und den großen Klassikern eingesetzt – das ist ein deutlicher Unterschied zu meinen ersten beiden Profijahren, als ich zumeist nur kleinere Rundfahrten bestritten habe“, grinst er.
 
Dass Arndt schon mit 23 Jahren ein fester Bestandteil des Pelotons sein würde, deuteten bereits seine Leistungen im Nachwuchsbereich an: Schon als 14-Jähriger wurde er deutscher Meister auf der Bahn, und das blieb nicht sein einziger Erfolg. Nationale wie internationale Topplatzierungen auf Bahn und Straße verschafften dem Talent aus den Reihen der RG Hamburg mit 18 Jahren einen Vertrag beim LKT Team Brandenburg. Drei Jahre wurde er dort auf den Profisport vorbereitet. Er gewann Etappen bei der Thüringen-Rundfahrt und der Tour de l’Avenir, ehe ihm die damalige Argos-Shimano-Equipe für 2013 einen Vertrag anbot. Im niederländischen Team knüpfte Arndt an seine Leistungen an. „Vom ersten Rennen weg schaffte ich es, mir meinen festen Platz im Fahrerfeld zu erkämpfen“, ist er stolz. Einem Etappensieg beim Arctic Race of Norway ließ er im vergangenen Jahr schließlich den noch viel bedeutungsvolleren Erfolg bei der Dauphiné Libéré folgen. Daneben sammelte er nicht nur als Helfer zahlreiche Erfahrungen, sondern verdiente sich seine Sporen auch mit zwei Teilnahmen an der Vuelta. „Natürlich geistert einem da auch die Tour de France durch den Kopf“, denkt Arndt bereits an die Zukunft. Es ist diese steile Entwicklungskurve, die anzeigt, warum der Jungprofi aus Buchholz in der Nordheide als die vielleicht größte deutsche Hoffnung hinter Degenkolb, Greipel, Kittel und Martin gilt. Den Verantwortlichen von Giant-Alpecin ist Arndts Fortschritt jedenfalls nicht verborgen geblieben. Nach einem Start bei den Wüstenrennen in Katar und Oman stehen bei ihm alle wichtigen Frühjahrsrennen auf dem Programm: Mailand – San Remo, Gent – Wevelgem, Flandernrundfahrt und Paris – Roubaix. Auch der Giro ist ein Thema. Dabei soll er nicht nur den Wasserträger spielen: Bei den Rennen der zweiten Reihe wird Arndt trotz des Staraufgebots seiner Mannschaft zahlreiche Freiheiten bekommen. „Zu Beginn ist zum Beispiel die Oman-Rundfahrt ein Thema. Es wäre schon schön, wenn ich hier direkt mit einem tollen Ergebnis starten könnte“, hofft er.
 
Nikias Arndt weiß um sein Talent. Deshalb hat er sich zumindest einen Sieg vorgenommen – am besten in der Größenordnung des letztjährigen Dauphiné-Erfolgs im französischen Dorf Le Teil. Insgeheim wünscht sich der 23-Jährige allerdings noch mehr: „Ein Sieg wird auf jeden Fall drin sein. Und ich hoffe, dass ein zweiter und vielleicht auch ein dritter dazukommt.“



Cover Procycling Ausgabe 133

Den vollständingen Artikel finden Sie in Procycling Ausgabe 133.

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