Ein schöner Urlaub

Das war sie also, meine erste Frankreich-Rundfahrt. Zwei Tage ist es jetzt her, dass ich die Ziellinie auf den Champs Élysées überquert habe. Richtig erholt habe ich mich von den drei Wochen noch nicht – sowohl körperlich als auch mental.

 

Neben den sportlichen Anstrengungen gab es einfach so viele Eindrücke, die ich im Laufe der Tour gesammelt habe. Eines weiß ich auf jeden Fall schon jetzt: Es hat mir einen riesigen Spaß gemacht, an der großen Schleife teilzunehmen.
Für unser Team ging es ja von Anfang an erfolgreich los, als Philippe Gilbert am ersten Tag das Gelbe Trikot holte. Es war schon vor dem Start klar, dass wir hier für ihn fahren würden – schließlich verlief das Finish so, als hätte er es selbst ausgewählt. Obwohl ich mich auf diesem Abschnitt in der Helferrolle befand, merkte ich schnell, dass es bei der Tour noch einmal härter zugeht: Jeder, ja, wirklich jeder Fahrer hält von Anfang an voll rein, und es wird von Kilometer null bis ins Ziel richtig hart um die Positionen gekämpft. Das ist nicht nur für die Beine anstrengend, sondern auch für den Kopf. Ein bisschen brauchte ich da schon, um mich an diese aggressive Fahrweise zu gewöhnen. Auch bei den ersten Sprintankünften bekam ich das zu spüren: Der HTC-Zug schlug ein so mörderisches Tempo an, dass es für mich anfangs gar nicht möglich war, vorne mitzusprinten. Ich war echt am Limit und hätte nicht schneller fahren können. Ich stellte mir abends im Hotel ganz ernsthaft die Frage, ob ich hier überhaupt einmal um den Sieg würde mitfahren können.

Ein Etappenerfolg war ja vor dem Start mein erklärtes Ziel gewesen. Dass es dann ausgerechnet am zehnten Tag klappt, damit hatte ich nicht gerechnet. Nach dem Ruhetag zuvor hatte ich keine guten Beine, und eigentlich wollten wir mit der harten Tempoarbeit am letzten Berg die Sprinter abhängen, um Philippe im Kampf um das Grüne Trikot zu unterstützen. Aber während Farrar und Co. tatsächlich zurückfielen, konnten Cavendish und ich im Feld mithalten. Sibi [Marcel Sieberg] machte dann einen hervorragenden Job und fuhr mich perfekt in Position. Cav, der dieses Mal keinen Zug hatte, musste früh lossprinten, und ich zog aus seinem Windschatten heraus vorbei. Wahnsinn, ein Erfolg bei der Tour. Ein lauter Jubelschrei, ein gigantisches Gefühl – ich war in diesem Moment so glücklich! Das Duell gegen Cavendish war natürlich auch im Folgenden ein großes Thema. Im Vorfeld gab es ja einige böse Worte, aber im Laufe dieser Frankreich-Rundfahrt haben wir beide erkannt, dass wir uns auf Augenhöhe bewegen, sich keiner zu verstecken braucht und jeder den anderen schlagen kann. Ein Bier würde ich zwar immer noch nicht mit ihm trinken gehen, aber wir respektieren uns jetzt. Und das ist auch sehr gut für den Sport.
 
Auch die Bergetappen werden mir sehr in Erinnerung bleiben: Vielleicht ist das für einen Sprinter ungewöhnlich, aber die Eindrücke, die ich dort gesammelt habe, waren einmalig. Zum einen natürlich der Sieg von meinem Teamkollegen Jelle Vanendert am Plateau de Beille, den wir schon im Gruppetto feiern konnten, zum anderen natürlich die berüchtigte Bergankunft in L’Alpe-d’Huez: So viele verrückte Zuschauer auf einem Haufen – das war schon irre. Ein Gänsehautschauer jagte da den nächsten, und obwohl die Anstiege nicht wirklich mein Lieblingsterrain sind, kamen mir die 13 Kilometer wie im Flug vor. Da stehen schon einige lustige Figuren am Straßenrand, echt einmalig! Es gibt noch viel mehr tolle Erlebnisse bei dieser Tour, von denen ich euch berichten könnte – aber das würde jetzt den Rahmen dieser Kolumne sprengen. Ich freue mich auf jeden Fall schon auf das nächste Jahr. Hoffentlich kann ich dann wieder in Frankreich „Urlaub machen“!
Sportlich geht es für mich jetzt mit ein paar Nach-Tour-Kriterien weiter, bevor ich mit meiner Familie in den wohlverdienten Urlaub düse. Meine nächsten größeren Rennen werden dann die Eneco Tour und die Cyclassics in Hamburg werden. Ein großes Ziel im Herbst ist dann natürlich noch die Straßen-Weltmeisterschaft. Wenn mich der BDR nominiert, will ich dort natürlich in guter Form antreten. Aber noch ist Zeit bis dahin, daher wünsche ich euch erst einmal einen schönen Rennrad-Sommer!
 
André Greipel ist einer der erfolgreichsten Sprinter im Profi-Peloton. Nach fünf Jahren bei HTC-Columbia und T-Mobile trägt er 2011 das Trikot von Omega Pharma – Lotto.


Cover Procycling Ausgabe 91

Den vollständingen Artikel finden Sie in Procycling Ausgabe 91.

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