Schnee statt Rennen

Wecker aus, weiterschlafen. Ein Blick aus dem Fenster genügte, um zu wissen, dass Kuurne – Brüssel – Kuurne in diesem Jahr nicht stattfinden würde.

 

Als ich am Renntag aufwachte, schneite es und es war bitterkalt. Unter diesen Bedingungen Rennen zu fahren, wäre einfach zu gefährlich gewesen – egal, ob für die Motorradfahrer, die vor dem Feld fahren, oder für uns Fahrer. Die Organisatoren überlegten zwar noch, das Rennen ohne Anstiege auszutragen, aber letztendlich ging die Sicherheit vor. Glücklich war ich über die Absage dennoch nicht – stand sie doch symptomatisch für meinen gesamten Februar. Meine letzten Wochen waren nämlich vor allem durch eines geprägt: Kälte. Schon bei der Mittelmeer-Rundfahrt zu Beginn des Monats hatten wir Fahrer mit den fast im gesamten Europa herrschenden widrigen Witterungsbedingungen zu kämpfen: Zwar blieb es bei dem fünftägigen Etappenrennen im Süden Frankreichs weitestgehend trocken – Temperaturen im zweistelligen Bereich erlebte ich dort allerdings auch nicht. Das kühle Wetter war dabei nicht das einzige Hindernis, mit dem wir Fahrer in Frankreich konfrontiert wurden: So war die Rundfahrt in Sachen Organisation leider eine der chaotischsten, die ich je erlebt habe. Bereits auf der ersten Etappe gab es große Schwierigkeiten: So wurden die Distanzen zum Ziel falsch oder gar nicht durchgegeben, und die Anzeige für den letzten Kilometer fehlte sogar komplett. Glücklicherweise gab es eine Fünf-Kilometer-Zielrunde, sodass wir die letzten Meter schon im Vorfeld kennenlernen konnten. Noch schlimmer kam es dann am dritten Tag: Hier wurde direkt die gesamte Etappe gestrichen, da die Kommunikation zwischen Organisation und Polizei nicht funktionierte und die Absperrungen nicht gesichert wurden.
 
Es gab allerdings auch positive Momente: Auf der ersten Etappe sicherte ich mir im Massensprint meinen fünften Saisonsieg und schlüpfte damit am nächsten Tag auch ins Gelbe Trikot des Gesamtführenden. So etwas nimmt man natürlich gerne mit. Auch auf dem abschließenden Tagesabschnitt konnte ich noch einmal aktiv ins Geschehen eingreifen: Als sich das Feld am Berg in mehrere Gruppen teilte und ich mich vorne befand, schaffte ich es, in die Ausreißergruppe des Tages zu springen. Das auf einer recht schweren Etappe hinzubekommen, war natürlich ein tolles Training und eine gute Bestätigung für meine derzeitige Form. Mit meiner Verfassung bin ich – gerade in Hinblick auf die Frühjahrsklassiker – also definitiv zufrieden. Auch das kalte Wetter nach der Mittelmeer-Rundfahrt zu Hause und die Rennabsage von Kuurne – Brüssel – Kuurne sollten sich nicht negativ ausgewirkt haben. Schließlich hatte ich so noch einmal die Möglichkeit, ausgiebig zu trainieren und Grundlagenkilometer zu sammeln, während andere Fahrer wie Mark Cavendish bei ihren Rennen schon Körner liegen ließen. Vielleicht zahlt sich das später im Jahr aus und ich bin dann frischer. Wenn ihr diese Zeilen lest, ist mein erster Saisonhöhepunkt allerdings bereits Geschichte: Mailand?–?San Remo, die Primavera. Ich hoffe, dass ich bis dahin meine Vorbereitung, die mich über Tirreno – Adriatico führte, konsequent fortsetzen konnte. Mit den Rennkilometern der italienischen Fernfahrt in den Beinen war es natürlich mein Ziel, dort um den Sieg mitzufahren. Schließlich war es mir bisher ja immer verwehrt geblieben, auf den Schlusskilometern dieses berühmten Klassikers ganz vorne mit dabei zu sein. Ich hoffe, ich konnte dieses Vorhaben erreichen. Bis zum nächsten Mal!
 
André Greipel ist seit 2005 als Berufsfahrer im Peloton unterwegs und zählt zu den schnellsten Sprintern der Welt. Seit 2011 trägt der Rostocker das Trikot der belgischen Lotto-Belisol-Mannschaft.

Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell


Cover Procycling Ausgabe 110

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